1. Didaktik Medienanalyse
Thomas Hellmuth, Klaus Edel
1.1 Vorwort
Filmanalyse im Unterricht erfolgt nicht selten auf eine recht oberflächliche, zumeist lediglich auf inhaltliche Aspekte ausgerichtete Weise. Um zur Urteils- und Methodenkompetenz beizutragen, die auch die Medienkompetenz miteinschließen, ist aber eine tatsächliche Dekonstruktion von Filmen notwendig, die auch die Verbindung filmtechnischer Mittel mit inhaltlichen Aspekten analysiert. In diesem Medienmanual finden Sie Unterrichtsvorschläge zum Erwerb der notwendigen Medienkompetenz.
1.2 Lerntheoretische Grundlagen
Medien können im Unterricht auf zweierlei Weise eingesetzt werden:
- als Gegenstand des Unterrichts. Das bedeutet etwa, dass die Geschichte der Medien, deren Formen und auch der Umgang mit ihnen, d.h. unter anderem die Analyseinstrumentarien, im Zentrum des Unterrichts stehen.
- als Hilfsmittel des Lernens. Als Hilfsmittel des Lernens dienen sie ferner dem Wissens- und Kompetenztransfer. So können etwa historische Inhalte im engeren Sinn mit Hilfe von Medien vermittelt werden. Am Beispiel von Medien lassen sich aber etwa auch – um nur ein Beispiel zu nennen, das auch in den folgenden Ausführungen eine Rolle spielt – Mechanismen der Manipulation erkennen und der Umgang mit diesen trainieren. Kompetenzen müssen sich folglich von den Lernsituationen, in denen sie erworben wurden, loslösen lassen und in anderen, alltäglichen Situationen anwendbar sein: „Kompetenz ist […] eine kreative Problemlösungsfähigkeit, die mehr beinhaltet, als eine Handlung nach einem einmal gelernten Muster auszuführen.“ Kurzum: Lerne ich etwa mit Hilfe von Medien, Manipulationstechniken zu erkennen und damit umzugehen, dann muss ich diese Fähigkeit auch in anderen Situationen als der Medienanalyse anwenden können.
Beiden Möglichkeiten der Mediendidaktik liegen unterschiedliche Lerntheorien zugrunde. (vgl. 8.2)
1.3 Konzeptive Überlegungen
1.3.1 Allgemeines
Der Einsatz von Medien im Unterricht ist gar keine so junge Errungenschaft wie man meinen könnte. Es sind zwar jeweils andere Medien und die didaktischen Überlegungen dafür haben einen gewaltigen Wandel durchgemacht, wenngleich es auch nicht unbedingt wünschenswerte persistierende Elemente gibt.
Ein Beispiel dafür waren die Overheadfolien, die das Tafelbild ablösen sollten, statt einer komprimierten Zusammenfassung, die die wichtigsten Punkte hervorhebt, wurden die Vorbereitungen auf die Folien kopiert und der Unterricht geriet zur Abschreibübung für die Schüler/innen. Um möglichst viel auf einer Folie unterzubringen, wurde eine sehr kleine Schriftgröße gewählt, die Lernenden der hinteren Reihen hatten keine Chance etwas lesen zu können. Ein Dejavue dieser Unsitte findet sich in Zeiten von PC; Notebook oder Tablet bei Power Point Präsentationen, bei denen der mediendidaktische Wert ebenfalls im Abschreiben dicht beschriebener Folien besteht, im Extremfall getoppt durch ein weiteres Versatzstück aus der pädagogischen Mottenkiste, das Unterstreichen oder Einfärben von Wichtigem. Selbstredend, dass dies auch nicht gemeinsam nachbesprochen und hinterfragt wird.
Eine weitere fragwürdige, überkommene Praxis ist das Abspielen von Wochenschauen, Videos oder Streams zum Füllen der Stunde ohne dass die Schüler/innen Kompetenzorientierte Aufgaben erhalten oder mit Konzepten arbeiten und auch von Seiten der Lehrperson keine Hinweise, Anregungen etc. kommen.
1.3.2 Ziele
- Fähigkeit zur ikonographischen Beschreibung: Die Schüler/innen bzw. Studentinnen/Studenten sollen die Inhalte der Filmsequenzen zusammenfassen können: Was passiert? Was wird dargestellt? Wie werden Personen dargestellt? Wie ist die „Mise en scène“gestaltet?
- Fähigkeit der ikonologischen Analyse bzw. Dekonstruktion: Die Schüler/innen bzw. Studentinnen/Studenten sollen den Sinn der einzelnen Bildelemente und des gesamten Filmausschnittes aufdecken können und dabei die Notwendigkeit von historischem/gesellschaftlichem Kontextwissen als Teil des „Arbeitswissens“ erkennen. Zentral ist dabei auch die Fähigkeit, etwaige Manipulationen durch filmtechnische Mittel zu durchschauen.
- Fähigkeit zur Multiperspektivität: Das Erkennen der zum Teil subjektiven Abhängigkeit von Deutungen, die aber wiederum von Sozialisation und kulturellem Kontext geprägt sind.
- Urteilskompetenz: Die Schüler/innen bzw. Studentinnen/Studenten sollen sich für bestimmte Deutungen entscheiden und diese Entscheidung nach rationalen Kriterien im Dialog begründen können.
- Methodenkompetenz: Die Schüler/innen bzw. Studentinnen/Studenten sollen die erworbenen Arbeitstechniken der Filmanalyse auch in anderen Situationen bzw. auf andere Filme und andere Medien anwenden können.
- Handlungskompetenz: Die Schüler/innen bzw. Studentinnen/Studenten sollen im Sinne der innovativen und kreativen Mediennutzung Filme nach bestimmten Kriterien gestalten können. Ein professionelles Vorgehen ist trotz der heute immer hochwertigeren technischen Angebote für die Lernendenbzw. Studierenden freilich nur schwer möglich, die Grundstrukturen bei der Gestaltung bestimmter Filmtypen sollten aber theoretisch erfasst werden.
1.3.3 Prozessorientierung
Die didaktischen Vorschläge sind keine fertigen Stundenbilder, da sich ja im Sinne der prozessorientierten Didaktik die konkrete Umsetzung des Themas in der Klasse an den konkreten Adressatinnen/Adressaten orientieren soll. Die Vorschläge bieten im Sinne des aktuellen Lehrplans für Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung Anregungen bzw. Modelle zum Kompetenzlernen an. Damit besteht die Möglichkeit sich mit der praktischen Umsetzung der Medienanalyse von Wochenschauberichten oder Fernsehnachrichtensendungen in Bezug auf Präsentation und Struktur für den Unterricht beschäftigen. Im Vordergrund steht der kritische Umgang mit den Medien, das Erkennen der Informations- und Manipulationsmöglichkeiten von Rundfunknachrichten, Wochenschauen, Fernsehen, Plakaten oder der digitalen Medien. Wochenschau bzw. Fernsehnachrichten werden beispielhaft analysiert. Für die anderen Medien und Mediennutzung sollte die Arbeit analog durchgeführt werden.
1.3.3.1 Adressatinnen/Adressatenanalyse
Die Adressatinnen-/Adressatenanalyse besorgt die für den jeweiligen Lernprozess relevanten Informationen, insbesondere über die Teilnehmer/innen und die durch sie geschaffenen Lehr- und Lernvoraussetzungen. Für das Thema Medienanalyse ist es daher wichtig, zuerst bei ihnen den ihren Medienkonsum zu erheben. Wie viele Schüler/innen bzw. Studierende lesen täglich Zeitung, wie viele hören und schauen im Radio bzw. Fernsehen Nachrichten an, wer benutzt regelmäßig das Internet als Informationsquelle? Wie gehen die Schüler/innen mit den digitalen Medien um. Darüber hinaus geht es auch um das Arbeitswissen im Zusammenhang mit den ausgewählten Filmen, Wochenschauen, Fernsehsendungen.
Eine Rolle spielt natürlich auch, welche Zeitungen von den Jugendlichen zu Hause gelesen werden und wie über Medien und Medieninhalte daheim und mit Freundinnen/Freunden diskutiert wird. Als Voraussetzung kann es dienlich sein, häufigen bzw. gezielten Medienkonsum zu vereinbaren, wenn es um Aufgabenstellungen zur Medienanalyse geht.
1.3.3.2 Ziele
Bis in die 70er Jahre galt das Bewahren der Schüler/innen bzw. Studierenden von den Gefahren der Neuen Medien als Lehrziel in der Mediendidaktik. Dieser bewahrpädagogische Ansatz der auf Überwachung und Kontrolle beruht, wurde durch den immer leichteren Zugang zu den digitalen Medien obsolet und mit der didaktischen Wende zu den Lernzielen rückte die selbständige Arbeit der Lernenden und Studierenden in den Mittelpunkt. Der Erwerb und die die Fähigkeit zur Anwendung der historischen und/oder der politisch bildenden Kompetenzen sowie die Auseinandersetzung mit Konstrukten bilden auch inden Lehr- und Studienplänen den Fokus. Die Medien können nicht nur Rezeptions- sondern auch Produktionsinstrumente sein.
1.3.3.3 Lernorganisation
Medienanalyse findet am besten in sozialen Lernformen statt. Als Lernorganisation eignet sich gut die Gruppenarbeit. Schüler/innen bzw. Studierenden arbeiten eigenständig miteinander und tauschen ihre Erfahrungen und Erkenntnisse aus, um miteinander zu gemeinsamen Ergebnissen zu gelangen. Die/Der Lehrer/in bzw. Lehrende gibt als Impuls einen Einstieg ins Thema, agiert aber dann als Moderator/in von selbständigen Lernprozessen.
Medien sind auch ein geeignetes Thema für fächerübergreifenden Unterricht (Deutsch/GSK bzw.GPB/ ev. auch Englisch oder eine andere lebende Fremdsprache).
Projektunterricht zum Thema Medien sollte auch einen produktionsorientierten Anteil haben, das heißt nach der kritischen Medienanalyse produzieren die Schüler/innen selbst eine Klassenzeitung, eine Radiosendung, Fernsehnachrichten oder erstellen eine Website zu einem aktuellen Thema.
Der Projektunterricht ist arbeitsteilig organisiert, wird im Idealfall von einem Lehrer/innenteam gesteuert, die Schüler/innengruppen arbeiten zu einem Überthema eigenverantwortlich und zielorientiert in einem bestimmten zeitlichen Rahmen. Am Schluss des Projekts sollte das Ergebnis präsentiert werden und eine Ertragsicherung für die Schüler/innen im Heft oder Mappe bzw. einem Ordner gegeben sein. Der eigentliche Abschluss liegt aber in der Reflexionsphase, die wieder eine Rückkopplung darstellt.
1.3.3.4 Medien
Alle Medien, wie Printmedien und elektronische Medien, interaktive Medien, also Internet, aber auch Film, Plakate und Flugzettel, bieten sich für Analysen an. Beispielhaft sind in diesem Modul Wochenschaubeiträge und die Fernsehnachrichten näher ausgeführt.
1.3.3.4.1 Printmedien
Die beiden Flugblätter aus dem Zweiten Weltkrieg, die an der Westfront von den NS 1944 bzw. der US Army 1945 zum Einsatz kamen, geben z.B. Gelegenheit zum direkten Vergleich in Aufbau und Gestaltung oder der Inhalte. Historisch wäre auch die jeweilige politische und militärische Situation zu untersuchen. Fächerübergreifend mit D, E könnte auch eine Analyse der Sprache erfolgen.
Der Wahlzettel aus Südafrika kann mit einem österreichischen verglichen werden, auch die Frage warum er bunt und mit Symbolen bei den Parteien versehen ist. Bei dem Abstimmungszettel für die Volksabstimmung vom 10. April 1938 könnte neben dem historisch - politischen Hintergrund die Analyse der Manipulation eine Rolle spielen.
Zeitungen eignen sich für Zeitungsvergleiche, Textanalysen, Bedeutung und Analyse von Bildern, Aufarbeiten der journalistischen Textformen, Interpretieren von Statistiken etc.
1.3.3.4.2 Audiovisuelle Medien
Das Radio kann verwendet werden, um Nachrichten inhaltlich zu analysieren, Sprachanalysen durchzuführen, einzelne Sendungen zu bewerten nach ihrem Informationsgehalt und Manipulationsmöglichkeiten, Schnitt und Montagen spielen dabei eine besondere Rolle.
Im Fernsehen wird analysiert nach Seher/innengewohnheiten, Bildmächtigkeit, Manipulationsmöglichkeiten durch Kameraführung, Schnitt und Themenwahl. Die "Macht der Bilder", die gerade beim unkritischen Fernsehkonsum vorherrscht, sollte besprochen werden.
Zwischen Öffentlich-rechtlichem Fernsehanstalten und Privatfernsehen muss unterschieden und die Möglichkeiten und Realität von politischen Interventionen sollten genannt werden.
1.3.3.4.3 Digitale Medien
Bei den Digitalen Medien soll die kritische Nutzung als Ziel formuliert werden, ebenso die Gefahr, dass durch Überinformation ein gesicherter Wissenserwerb auf derStrecke bleibt. Ein weiteres Problem, das sich lohnt behandelt zu werden, ist die Frage des Datenmülls.
Der Interaktivität als Chance zur Demokratisierung der Gesellschaft steht aber das "social gap" der User und der nicht Vernetzten gegenüber. Dieser "gap" ist geographisch, sozial und generationsmäßig vorhanden, daher vertieft das Internet zur Zeit gesellschaftliche Differenzierungen.
Man kann die Unterschiede zwischen den Print- und Internetausgaben der Zeitungen analysieren. Die Vorteile des Internet sind dabei Aktualität und Prägnanz, Nachteile die Fehlerhäufigkeit und die zu geringe Hintergrundinformation und Kontrolle (Gefahr von Fakes).
1.3.3.5 Rückkopplung
Die Rückkopplung ist in der prozessorientierten Didaktik ein ganz wesentliches Element das den Lehrpersonen es ermöglicht zu erfassen, wie die Lernenden das Erarbeitete erfasst haben. Verständnisfragen tragen dazu bei Fehler oder Mißverständnisse zu korrigieren. Verschiedene Formen des Feedbacks oder schriftliche Evaluierungsbögen liefern hilfreiche Informationen zu inhaltlichen, prozessualen oder kommunikativen Fragen. Auf Häufigkeiten bei Rückmeldungen und individuelle Sichtweisen sollte reagiert werden.
1.3.3.6 Die Planungsmatrix als digitales Planungs-Tool
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