Repräsentation von Herrschaft
Friedrich Öhl, Klaus Edel
1. Vorbemerkung
„Die heutige Architektur kann nicht auf die Ansprüche der Gesellschaft und auf die Entwicklungen der Stadt antworten, wenn sie sich auf die Konstruktion von Bauwerken beschränkt. Man muss über das Gebäude hinausblicken und mehr als das Gebäude selbst anbieten: allgemein zugängliche Räume, Verbindungen, Durchgänge, Austauschmöglichkeiten und Bezüge zur Natur.“ (Dominique Perrault, 2009)
Herrschaft repräsentiert sich in vielen Manifestationen: Bekleidung, Inszenierung öffentlicher Auftritte, oder Architektur. Herrscher/innen verfügten über Land, Produktion und Gefolgschaft, sie horteten und verteilten, sie richteten und planten. Herrscher/innen hatten Macht über andere, die jedoch an der Grenze von öffentlich und privat endete.
2. Stadtplanung zwischen Architekturtheorie, Funktion und Politik. Die Anlage von Städten
2.1 Vitruv
Als früher Zeuge für Städteplanung und damit auch der Frage des öffentlichen Raumes steht Marcus Vitruvius Pollio. In der Republik geboren trat er im Bürgerkrieg in die Dienste von C. Julius Caesar und nach dessen Ermordung von Octavian, dem späteren Kaiser Augustus. Seine Bedeutung liegt in der Abfassung der 10 Bücher Über Architektur. Sie sind das einzige erhaltene antike Werk über Architektur sowie des damaligen Kenntnisstandes des Bauingenieurwesens. Im Band Eins beschäftigt er sich mit der Anlage von Städten.
Abb.19 Marcus Vitruvius Pollio, De architectura libri decem, I
Vitruvs Stadtentwurf(1) orientierte sich an den Windrichtungen.(Solanus-Ostwind am Morgen, Auster, Südwind zu Mittag, Favonius, Westwind abends, Septentrio, Nordwind um Mitternacht, die anderen 4 Winde liegen dazwischen). Zwischen diesen Achsen konnten Siedlungen in verschiedenen Formen (Kreis, Vieleck, oder wie hier Quadrat - Vitruv hat sein Buch leider ohne Skizzen ausgeführt) eingefügt werden. Quadratisch sind dann auch die Bauflächen und Plätze, die durch Nicht-Verbauung einer Baufläche entstanden.
Zwischen den 10 Büchern Vitruvs über die Architektur aus dem 1. Jh. n. Chr., die sich auch mit Stadtplanung befassen und Leon Battista Albertis Schrift über die Baukunst der Renaissance (De Re Aedificatoria) von 1452, in der er theoretische Überlegungen zur Stadtanlage wieder anregt, liegen 14 Jahrhunderte.
Dazwischen, in den Städten des Mittelalters, fanden immer wieder heftige Diskussionen über die Trennung von öffentlichem und privat verbautem Raum statt. Die ohnehin schon engen Gassen wurden häufig durch in die Gassen hineinragende Gebäudefassadenteile (zB. Loggia, Balkon) verengt. Kleinste Winkel an Kreuzungen wurden durch Häuser mit wenigen Quadratmetern Grundfläche verbaut. Die Städte waren von einer Mauer umschlossen und eine steigende Bevölkerungszahl konnte nur durch Zu- An- Auf- oder Vorbauten an Häusern untergebracht werden. Immer wieder wurde zwar ein Rückbau gefordert und nach großflächigen Bränden auch durchgesetzt.
2.2 Der "Platz" im Zentrum
In Piero della Francescas(2) (gest. 1492) Ansicht einer idealen Stadt gewann der öffentliche Raum eine neue Qualität. Städtische Zentren wurden in der Renaissance und später im Barock platzartig angelegt. Nach Kriegsschäden oder Großbränden konnte neu gebaut werden und die Gebäude an den zentralen Plätzen repräsentierten die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse.
Der Grand Place in Brüssel wurde 1695 neu gestaltet. Fürstenpalast und Rathaus stehen an den Längsseiten gegenüber, umrahmt von den Zunft- und Gildhäusern der Bürger als Abbild und Ausdruck der Herrschaftsverhältnisse.
An diesem neuzeitlichen Ensemble wird die Aufhebung der strikten Trennung von öffentlich und privat, von „ den Tätigkeiten, die der Erhaltung des Lebens dienen und denjenigen, die sich auf eine allen gemeinsame Welt richten“ (Arendt, S. 420) räumlich interpretiert. Die feudale Ordnung steht hier der bürgerlichen Selbstverwaltung gegenüber und beide werden begrenzt von den Vereinigungen der Wirtschaftenden. Hier wird die Problemstellung in modernen Gesellschaften mit der Trennung von öffentlich und privat (von polis und oikos) sichtbar.
3. Macht und Repräsentation am Beispiel Kaiserforum / Heldenplatz
Im 19. Jahrhundert wurde der öffentliche Raum mit dem wirtschaftlichen und politischen Erstarken des „Mittelstandes“ neu definiert. Die Ummauerung der Stadt verlor ihre militärische Bedeutung, Vorstädte und Vororte wuchsen rasant. Die innerstädtische Mobilität konnte durch Fußwege nicht mehr aufrecht erhalten werden, zu groß wurden die Distanzen, die vor allem durch die zunehmende Trennung der Funktionen Wohnen und Arbeiten zurückgelegt werden mussten.
3.1 Repräsentativbauten
Zu Weihnachten 1859 wurde der kaiserliche Erlass zur Schleifung der Mauern und zum Bau der Wiener Ringstraße veröffentlicht. Franz Joseph I. wollte eine kaiserliche Prachtstraße, mit einem Kaiserforum als zentraler Anlage, das die Ringstraße unterbrach.
Die Straße wurde als Polygonzug geplant, mit geraden Schussstrecken für die Soldaten, denn die Angst des Kaisers vor einer Wiederholung der Revolution von 1848 saß tief. An den Endpunkten am Donaukanal sollten zwei Kasernen(3) stehen.
Den Streit um den Bauplatz des Rathauses mit dem Wiener Bürgermeister verlor der Kaiser. Anstatt an den angrenzenden 3. Bezirk wurde es an der geplanten kaiserlichen Meile zwischen Votivkirche und Hofburg, neben dem Parlament, errichtet, allerdings etwas zurückversetzt von der Ringstraße.
Finanziert wurden die öffentlichen Gebäude mit dem Verkauf der Grundstücke entlang der Ringstraße an Private. Trotz der hohen Preise kam aber zu wenig Geld herein und die ursprünglichen Pläne des Kaiserforums konnten nur zur Hälfte verwirklicht werden. Mit dem Bau des Kaiserforums wurde schließlich Gottfried Semper, der in der Revolution von 1848 noch auf republikanischer Seite stand, beauftragt. Der schließlich gebaute Trakt der Neuen Hofburg sollte ursprünglich gemeinsam mit einem baugleichen Trakt auf der gegenüberliegenden Seite den Burgplatz, den heutigen Heldenplatz, umrahmen.
Ein weiters Problem bestand darin, die Gebäudefunktion auf der anderen Ringstraßenseite fest zu legen. Ursprünglich sollte dort der Generalstab einziehen, doch die militärischen Niederlagen von 1859 und 1866 ließen eine Repräsentation des Kaisertums durch die Armee nicht mehr zu. So wurde schließlich die habsburgische Herrschaft durch einen Bau für die Kunst und einen für die Wissenschaft repräsentiert.Einige Habsburger waren seit der frühen Neuzeit eifrige Kunstsammler, sodass es einen großen Kunstbestand gab.
Die baugleichen Museen sind eine Glorifizierung des Herrscherhauses und des Herrschers. Der Eingangsbereich ist als Oktogon gestaltet, ein Zitat der Pfalzkapelle in Aachen, der Krönungskirche der römischen Kaiser des Mittelalters. Achteckig ist auch die römische Kaiserkrone. Beides sind Hinweise auf die Legitimität der führenden Rolle der Habsburger in Europa, vor allem aber ein Zeichen gegenüber dem König in Preussen und dem Deutschen Kaiserreich. Auch durch den neobarocken Baustil sollte auf die „große Zeit“ habsburgischer Herrschaft hingewiesen werden. Das war auch ein Grund dafür, die bürgerlichen und demokratischen Einrichtungen stilistisch davon abzuheben: das Rathaus ist Neogotisch, das Parlament weist klassisch hellenische Formen auf, die Universität zitiert die Architektur der Renaissance. Auch die meisten Ringstraßenpalais sind neobarocke Bauten und viele der (neu)reichen Bauherrn wurden geadelt.
3.2 Denkmäler
Ein weiteres Merkmal des öffentlichen Raumes in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts sind Denkmäler. Mit der Erinnerung an die „Großen“ aus Politik und Kultur wurde nationale Geschichtspolitik öffentlich repräsentiert.
Den Raum zwischen beiden Museen sollte nach dem Wunsch des zahlenden Wiener Bürgertums ein Denkmal des „liberalen“ Reformers Joseph II. füllen, wogegen sich Franz Joseph widersetzte. Man einigte sich auf Maria Theresia, deren hundertster Todestag vor der Tür stand. Auch konnte sie die bürgerliche Geschichtspolitik genauso repräsentieren wie die habsburgische, war sie doch konservative absolute Herrscherin genauso wie vormoderne Reformerin. Ihr 1874 im Entwurf fertiges Denkmal wurde mit 800.000 Gulden das teuerste Wiener Denkmal, warf aber Probleme der Darstellung auf. Herrscher/innen tragen üblicherweise „ihre“ Krone, doch die römische Kaiserkrone trug sie nicht. Die böhmische, die ungarische Krone oder der Erzherzogshut hätten nur einen Teil ihrer Herrschaft symbolisiert, also trägt sie ein neutrales Diadem. Trotz der vielen Männer (25) unter ihrem Thron fehlt die Verwandtschaft: Vater, Gatte und zwei ihrer Söhne trugen die Kaiserkrone, mit der sie der Bildhauer Kaspar v. Zumbusch und der Programmatiker des Denkmals, Alfred v. Arneth, nicht krönen konnten.
3.3 Zeichensetzungen in der Republik
Aber die Ringstraße und das Kaiserforum haben auch eine republikanische Geschichte. Noch in der Monarchie löste die Ringstraße den Prater (Straße des 1. Mai) als Aufmarschort der Sozialdemokraten ab.
Erst nach dem 1. Weltkrieg wurde die Neue Hofburg fertig gebaut. Sie bildete die Kulisse für eine Reihe politischer Veranstaltungen mit dem negativen Höhepunkt der Rede Hitlers am 15. März 1938. Seither ist der Balkon unter dem Doppeladler ein Ort des Nicht-Erinnerns und wegen Baufälligkeit nicht zugänglich. Ein einziges Mal wagte es jemand seither wieder vom Balkon herab zu reden: der Friedensnobelpreisträger von 1986, Eli Wiesel im Jahr 1992, anlässlich einer Großkundgebung gegen Rassismus und Antisemitsmus.
dgpb © Friedrich Öhl, Klaus Edel