3. Theoretisch-methodische Grundlagen zur Mediendidaktik


Abb. 66 Kundgebung der Vaterländischen Jugend Tulln 1934

Thomas Hellmuth und Ewald Hiebl

3.1 Historisch-politisch bildende Informationen

In der wissenschaftlichen Forschung wird für die Zwischenkriegszeit zwischen faschistischen Systemen und einer spezifische Form autoritärer Systeme, dem autoritären Korporatismus, unterschieden, wiewohl durchaus Überschneidungen existieren. Der sogenannte „Austrofaschismus“ wird etwa den autoritären Korporatismus zugerechnet. Dabei unterscheiden sich Faschismus und autoritärer Korporatismus allerdings dadurch, dass letzterer im Sinne einer berufsständischen, am Mittelalter orientierten Gesell - schaft, durchaus eine Gliederung der Gesellschaft anstrebt.

Es ist daher sinnvoll, vor der Analyse der Filmsequenzen eine Definition von Faschismus und autoritären Korporatismus zu wagen. Eine solche erweist sich zugegebenermaßen als schwierig. Dennoch sollten darauf nicht verzichtet werden, zumal die Begriffe gleichsam zu Schimären würden bzw. die Analyse faschistischer bzw. autoritärer Erscheinungen kaum noch möglich wäre.

Im Folgenden wird ein Definitionsversuch der beiden Begriffe unternommen. In Form eines systematischen Lehrgangs, bei dem vor allem das Unterrichtsgespräch dominiert, können die einzelnen Merkmale und Unterschiede besprochen werden. Ein politisches System ist freilich noch nicht als faschistisch oder autoritär-korporatistisch zu bezeichnen, wenn lediglich ein oder zwei der angeführten Merkmale vorliegen; vielmehr muss eine Kombination aus den meisten dieser Elemente bestehen. (siehe dazu Ecker/Hellmuth 2002, Hanisch 1994, Tálos 1995)

Es ist selbstverständlich auch möglich, die Definitionen durch die Schüler/innen – zumindest ansatzweise – erarbeiten zu lassen, wozu jedoch Materialien zur Verfügung gestellt werden müssen. Zusätzliche Informationen finden sich im Folgenden unter 3.1.1 bzw. 3.1.2.(1)

3.1.1 Hauptmerkmale des Faschismus

Abb. 67 Massenmobilisierung-Reichsparteitag der NSDAP 1935 Nürnberg

  • Antiliberalismus, Antisozialismus und Antimarxismus
  •  

  • Antikatholische und „heidnische“ Ausrichtung
  •  

  • Versuch, anstelle der „Klassengesellschaft“ eine so genannte „Volksgemeinschaft“ zu errichten
  •  

  • gegen das Parteiensystem gerichtet
  •  

  • Massenmobilisierung; die Partei wird in diesem Zusammenhang als Bewegung verstanden
  •  

  • politische Gewaltbereitschaft der „Bewegung“
  •  

  • Ästhetisierung der Politik (u.a. Inszenierung von Massenveranstaltungen)
  •  

  • Verklärung der Vergangenheit, gleichzeitiger technischer Modernisierungsglaube
  •  

  • imperialistische Ausrichtung
  •  

  • Nationalismus
  •  

  • Rassismus
  •  

  • Führerprinzip

3.1.2 Hauptmerkmale des autoritären Korporatismus

Gemeinsamkeiten mit dem Faschismus:

Abb.. 68 Stütze Kirche-Heer-Wehrverband Gedenkfeier 250 Jahre 1683

  • Antiliberalismus, Antisozialismus und Antimarxismus
  •  

  • Verneinung der Klassengesellschaft
  •  

  • gegen Parteienpluralismus
  •  

  • Nationalismus
  •  

  • Ästhetisierung der Politik (u.a. Inszenierung von Massenveranstaltungen)
  •  

  • Führerprinzip
  •  

  • Verklärung der Vergangenheit

 

Unterschiede zum Faschismus:

     

  • Konservative Kräfte (Kirche, Heer und Bürokratie) dienen als Stütze des Systems
  •  

  • Keine „Bewegungs“ -Partei: Wenn eine solche „Bewegung“ überhaupt angestrebt wird, scheitert die Massenmobilisierung.
  •  

  • Repressionen erfolgen in erster Linie durch die traditionellen Institutionen des Staates (Heer und Polizeikräfte)
  •  

  • defensive, keine imperialistische Ausrichtung (oft aber, weil keine Möglichkeit besteht)
  •  

  • Autoritäre Systeme sind – zumindest offiziell – nicht immer rassistisch.

3.2 Lerntheoretische Grundlagen

Abb. 69 Medien

Medien können im Unterricht auf zweierlei Weise eingesetzt werden: zum einen als Gegenstand des Unterrichts, zum anderen als Hilfsmittel des Lernens. Ersteres bedeutet etwa, dass die Geschichte der Medien, deren Formen und auch der Umgang mit ihnen, d.h. unter anderem die Analyse - instrumentarien, im Zentrum des Unterrichts stehen. Als Hilfsmittel des Lernens dienen sie ferner dem Wissens- und Kompetenztransfer. So können etwa historische Inhalte im engeren Sinn mit Hilfe von Medien vermittelt werden. Am Beispiel von Medien lassen sich aber auch – um nur ein Beispiel zu nennen, das auch in den folgenden Ausführungen eine Rolle spielt – Mechanismen der Manipulation erkennen und der Umgang mit diesen trainieren. Kompetenzen müssen sich folglich von den Lernsituationen, in denen sie erworben wurden, loslösen lassen und in anderen, alltäglichen Situationen anwendbar sein: „Kompetenz ist [...] eine kreative Problemlösungsfähigkeit, die mehr beinhaltet, als eine Handlung nach einem einmal gelernten Muster auszuführen.“ (Pandel 2008, 105)

Kurzum: Lerne ich etwa mit Hilfe von Medien, Manipulationstechniken zu erkennen und damit umzugehen, dann muss ich diese Fähigkeit auch in anderen Situationen als der Medienanalyse anwenden können.

Beiden Möglichkeiten der Mediendidaktik liegen unterschiedliche Lerntheorien zugrunde:

1) Behavioristische Lerntheorie: Verhalten eines Individuums soll verstärkt und verändert werden (z.B. Übungsprogramme für Mathematik oder Fremdsprachen, traditionelle Staatsbürgerkunde, um patriotische Gesinnung zu vermitteln).

2) Kognitivistische Lernkonzepte: Nicht die Steuerung von außen, sondern die aktive und selbstständige Verarbeitung äußerer Reize steht im Mittelpunkt. Möglich wird dies etwa durch Entscheidungssimulationen.

3) Konstruktivistische Lernkonzepte: Die individuelle Wahrnehmung wird verstärkt betont, indem selbstreflexiv die eigene Konstruktion der Wirklichkeit ermöglicht werden soll. Unterricht bietet Informationen und Werkzeuge, um Lernprozesse selbst zu gestalten. Im Zentrum steht die subjektive Deutungsarbeit. Letztlich ist die konstruktivistische Position eine Weiterentwicklung der kognitivistischen Lernkonzepte. (Weißeno 2001, 27f )

Die folgenden Überlegungen und Unterrichtsbeispiele orientieren sich an konstruktivistischen Lernkonzepten und entsprechen damit der postmodernen Schule der Politikdidaktik, die das Hauptaugenmerk auf den Lernprozess der Schüler/innen legt: „Der Lehrer wird als Mediator, die Lernenden [werden] als Konstrukteure ihres Wissens ohne Aneignungszwang gesehen. Der Erkenntnisfortschritt wird individualisiert und nicht mehr als Wissen vermittelt. Lernen ist ein selbständig sich vollziehender Akt, den man nicht mit Zielen, sondern durch die Ermöglichung vielfältiger schülergerechter Lernwege steuern soll.“ (Weißeno 2001, 34)

3.3 Mediendidaktik und konstruktivistische Lernkonzepte

Mediendidaktik ist auf die Vermittlung von Medienkompetenz ausgerichtet, die für Dieter Baacke vier Dimensionen aufweist:(2)

Abb. 70 rezeptive und interaktive Nutzung der Medien

  1. Medienkritik (Fähigkeit, sich analytisch, ethisch und reflexiv mit Medien auseinanderzusetzen)
  2. Medienkunde (Wissen über Formen von Medien, instrumentelles Wissen)
  3. rezeptive und interaktive Nutzung von Medien
  4. innovative und kreativeMediennutzung (etwa im Sinne der Erstellung eigener Zeitungen mit Hilfe von Textverarbeitungsprogrammen, aber auch Fähigkeit der künstlerischen Gestaltung durch Medien)

Im Zentrum der Mediendidaktik stehen letztlich aber die Befähigung zur Medienkritik sowie die innovative und kreative Mediennutzung im Sinne konstruktivistischer Lernprozesse.

Medienkritik beruht auf der Fähigkeit, sich der Selektionsleistung der Medien bewusst zu sein, die Codes der Medien lesen zu können, die Standortgebundenheit der Medien klären zu können und die Informationsstrategien der Medien je nach Thema (etwa Berichte über Wahlkämpfe, Wissenschaftsjournalismus oder Kriegsberichterstattung) analysieren zu können. Im Fall der Filmanalyse gehört zur Medienkritik auch die Fähigkeit, filmanalytische Instrumentarien (siehe weiter unten) anwenden zu können.

Innovative und kreative Mediennutzung zielt dagegen auf politische Tätigkeiten ab, zum Beispiel auf das Schreiben von Flugblättern, das Entwerfen von Wahlslogans oder das Führen von Interviews usw. Damit wird Perspektivenübernahme, Multiperspektivität, Erklären und Verstehen, d.h. Empathiefähigkeit und schließlich auch (Selbst-)Reflexivität ermöglicht. (Hellmuth 2009)

3.4 Didaktisch-methodische Grundlagen

Abb. 71 didaktische-methodische Grundlagen

Im Folgenden wird zunächst ein mögliches Stufenmodell besprochen, das die Lernprozesse organisieren kann. In einem weiteren Schritt erfolgt die Vorstellung von Werkzeugen der Filmanalyse, die für die vorliegenden Filmbeispiele hilfreich sein können.

3.4.1 Lernorganisation

Die Lernorganisation bei der Medienanalyse kann nach Weißeno in folgenden Schritten erfolgen

  1. Zunächst wird der Inhalt des jeweiligen Mediums erschlossen, d.h. der Inhalt wird strukturiert und zusammengefasst.
  2. Die unterschiedlichen Lesearten müssen im (selbst-)reflexiven Sinn eruiert und ihre Verankerung in individuellen Erfahrungen verortet werden. Damit entstehen mehrere Bedeutungsschichten, die letztlich „eine wechselseitige Steigerung [bzw. Vervielfältigung der Perspektiven, Anm. d. V.] im Gespräch durch den Austausch von unterschiedlichen Wissensbeständen“ (Weißeno 2000, 191 sowie Hellmuth 2009b, 89) und Erfahrungen ermöglichen. Das Erkennen wird gleichsam erweitert, die Urteilsfähigkeit geschärft.
  3. Die Ergebnisse werden auf eine allgemeine, abstrakte Ebene gehoben. Nicht das Spezifische, sondern das Typische muss aus dem Beispiel herausgefiltert werden. Diese Möglichkeit, Ergebnisse auf eine allgemeine Ebene zu transferieren, ist auch für die Auswahl von Themen in der politischen Bildung bzw. Mediendidaktik von zentraler Bedeutung. (Weißeno 2001, 33)

3.4.2 Filmanalytische Instrumentarien

Abb. 72 Empfänger

 

 

Abb. 73 (=Grafik 1) Nachrichtenquadrat (Zum Vergrößern auf Grafik klicken)

Als Beispiel für eine Medienanalyse soll im Folgenden die Filmanalyse dienen, wobei hier als Grundlage das Kommunikationsmodell von Friedemann Schulz von Thun heragezogen werden kann. (Schulz von Thun 1992) Dieses unterscheidet zwischen Empfänger/innen und Sender/innen und vier Seiten einer Nachricht, d.h. der Selbstoffenbarung, dem Sachinhalt, dem Appell und der Beziehungsebene (siehe Grafik 1). Letztere ist mit fiktiven Empfänger/innen gegeben, die von denen, die für den Film verantwortlich sind, immer bewusst oder unbewusst mitgedacht werden. (Ong 2000, 95–104)

Wenn wir Filme mit Bezug auf das Nachrichtenquadrat betrachten, lassen sich dem konstruktivistischen Lernkonzept entsprechende Fragen stellen:

  • Was soll dem Empfänger vermittelt (Inhalt) und was bei diesem erreicht (Appell) werden?
  •  

  • In welcher Beziehung steht der Sender zum Konsumenten des Films und welche gemeinsamen kulturellen Bedingungen verbinden die beiden (Beziehung)?
  •  

  • Welche Gründe gibt es vermutlich für den Sender, eine bestimmte Darstellung zu wählen (Selbstoffenbarung)?

Um diese Fragen zu beantworten, scheint weiters die von Erwin Panofsky vorgenommene Unterscheidung von Ikonographie und Ikonologie sinnvoll. (Panofsky 1984, 207–225 sowie Bourdieu 1997, 127f.)

So werden bei der ikonographischen Beschreibung die einzelnen Bildelemente sprachlich benannt, ohne bereits eine Analyse vorzunehmen („Was siehst du?“). In einem weiteren Schritt lässt sich schließlich mit Hilfe der ikonologischen Analyse die Bedeutung der einzelnen Bildelemente offen legen, wobei hier das kollektive Gedächtnis miteinbezogen werden muss („Was bedeutet das?“). (Pandel 2008, 122–128) Dies ist durch die Zuhilfenahme von Zusatzinformationen möglich, die aus zeitgenössischen Quellen oder wissenschaftlicher Literatur entnommen werden („Arbeitswissen“).

Die ikonologische Analyse bedarf filmanalytischer Werkzeuge(3) – sieht man von den unterschiedlichen Arbeitstechniken ab, die zur Erlangung des Arbeitswissens dienen und hier nicht gesondert besprochen werden.(4) Für die vorliegenden Unterrichtsbeispiele sind vor allem die Montage, die Bildgestaltung (vor allem die Kadrierung, die geschlossene und offene Form, die Einstellungsgröße und der Kamerawinkel), der Erzähler/innen-Modus (Voice-over) und der Ton (Sprache, Geräusche und Soundeffekte sowie Musik) von Bedeutung.

Abb. 74 Filmmontage

Montage

Der fertige Film beinhaltet meist nur einen kleinen Teil des Filmmaterials, das ursprünglich erstellt wurde. Er ist das Ergebnis der so genannten „Montage“,(5) wie die Anordnung und das Zusammenfüge von Bildern bezeichnet wird.

Während die Montage an inhaltlichen Vorgaben und somit an ein dramaturgisches Konzept orientiert ist bzw. selbst als Teil davon betrachte werden kann, ist der Schnitt(6) ein lediglich technischer Begriff.

Folgende Einheiten werden bei der Montage unterschieden: „Einstellung“, „Szene“ und „Sequenz“(7)

  • Als Einstellung wird eine durchgängige Aufnahme zwischen zwei Schnitten bezeichnet.
  •  

  • Eine Szene umfasst eine oder mehrere Einstellungen, die dramaturgisch und im Hinblick auf Ort und Zeit eine Einheit bilden.
  •  

  • Eine Sequenz meint schließlich eine abgeschlossene und aus mehreren Szenen bestehende Erzähleinheit.

Zudem sind zwei Arten der Montage möglich: zum einen die „Sukzession“, zum anderen die „Simultaneität“.

  • Bei der Sukzession wird ein zeitliches Nacheinander vermittelt, indem mehrere Einstellungen aneinandergereiht werden. Zwar können etwa Zeitsprünge eingebaut sein, der Eindruck des chronologischen Ablaufs darf dadurch aber nicht gestört werden.
  • Die Simultaneität schafft dagegen den Eindruck gleichzeitig wahrgenommener Ereignisse, der in der Realität nicht möglich ist. Die Montage macht allerdings das Unmögliche gleichsam möglich, indem sie zum Beispiel normalerweise getrennte Orte, Ereignisse und optische Eindrücke nebeneinander setzt.

Die Verbindung der einzelnen Einstellungen miteinander erfolgt entweder als „Match Cut“ oder „Jump Cut“.(8)

  • Der Match Cut ermöglicht einen gleitenden Übergang zwischen zwei aufeinander folgenden Einstellungen, wobei Elemente der ersteren in die zweite Einstellung übernommen werden (z.B. gleicher Kamerawinkel oder farbliche Akzente).
  •  

  • Der Jump Cut ignoriert dagegen die traditionellen Anschlussregeln und erzeugt – etwa durch zeitliche Auslassungen – einen Bildsprung.(9)

Abb. 75 Elemente die als wichtig empfunden werden, sind ins Bildzentrum gerückt

Bildgestaltung

Zunächst ist hier der Begriff Kadrierung zu erklären: Dieser meint die Bildbegrenzung, die bestimmt, welche Elemente der Realität für die Zuschauerin/den Zuschauer als besonders wichtig empfunden und deshalb ins Bildzentrum gerückt werden. Es muss den Schülerinnen/den Schülern klar sein, dass ein Film niemals die Wirklichkeit „objektiv“ abbilden kann (so wie auch das Individuum letztlich niemals die Wirklichkeit im Ganzen erfassen kann und daher notwendigerweise selektiert), sondern – unbewusst bzw. auch bewusst für Manipulationszwecke – nur einen Teil der Wirklichkeit ins Bild rückt. Im Gegensatz zur Wahrnehmung im Alltag, die Bilder meist flüchtig rezipiert, müssen die Bilder des Films, die durch ihre Grenze und ihre innere Ordnung Konstruktionen sind, anders rezipiert werden. Ihre bewusste Gestaltung muss durch eine bewusste Analyse erkannt werden. Die Wahrnehmung von Filmbildern unterscheidet sich damit grundsätzlich von der Alltagswahrnehmung.

Weiters sind die geschlossene und die offene Form der Bildgestaltung von Bedeutung.

  • Bei der geschlossenen Form konzentriert sich die Zuschauerin/der Zuschauer nur auf das im Rahmen (Frame) Dargestellte. Die Zuschauerin/Der Zuschauer wird daran gehindert abzuschweifen und sich der Welt jenseits des gezeigten Bildes, die dieses eventuell in einen anderen Zusammenhang rücken könnte, zuzuwenden.
  •  

  • Die offene Form der Bildgestaltung stellt dagegen einen Bezug zur nicht sichtbaren (filmischen) Wirklichkeit her, etwa durch Töne oder durch Personen, die aus dem Rahmen des Bildes treten.

Die Einstellungsgrößen orientieren sich am menschlichen Körper. Die Darstellung der Objekte gibt Auskunft über die Beziehung des Dargestellten zur/zum Beobachtenden über (fiktive) Nähe und Distanz. Die Einstellungsgrößen tragen keine einheitlichen Bezeichnungen. Dennoch haben sich gewisse Begriffe als weit verbreitete Übereinkunft durchgesetzt:

  • Weit zeigt etwa eine Landschaft, der Mensch ist verschwindend klein. Damit wird der Zuschauerin/dem Zuschauer ein Überblick vermittelt. Diese Einstellung kann auch dazu dienen, überwältigende Bilder zu zeigen, eine beeindruckende Atmosphäre zu schaffen.
  • Die Totale bildet den Handlungsraum des Menschen ab und dient als Orientierung. Wichtig ist die Szenerie, nicht die Darstellung der handelnden Menschen.
  •  

  • Die Halbtotale präsentiert die menschliche Figur von Kopf bis Fuß. Damit werden Bewegungen des ganzen Körpers oder Personengruppen dargestellt.
  •  

  • Als Halbnah werden Einstellungen bezeichnet, die den Menschen vom Kopf bis zur Hüfte zeigen. Damit wird sowohl menschliche Mimik und Gestik als auch die situative Einbindung der Protagonist/innen dargestellt.
  •  

  • Nah heißt die Darstellung vom Kopf bis zur Mitte des Oberkörpers. Sie erzeugt Gefühlsregungen, zeigt Reaktionen von Personen und lenkt die Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte von Mimik und Gestik.
  •  

  • Groß stellt Nähe zu einer gefilmten Person her und hat emotionalisierende Wirkung, zudem werden Einzelheiten sichtbar. Diese Einstellung zeigt etwa einen Kopf und rückt die Mimik in den Vordergrund.
  •  

  • Detail (oder auch: Ganz groß) präsentiert lediglich Ausschnitte von Körpern und Dingen (z.B. Mund, Finger, Revolverabzug) und erzeugt eine besonders intensive Bildwirkung. Diese Einstellung eignet sich letztlich für symbolisch aufgeladene Einstellungen.(10)

Kameraperspektive - Kamerawinkel

Schließlich ist für die Unterrichtsbeispiele auch die Kameraperspektive bzw. der Kamerawinkel von Bedeutung, zumal sich die Wirkung der Einstellungsgrößen mit der Blickrichtung der Kamera entfaltet. In diesem Zusammenhang müssen insbesondere die Untersicht und die Aufsicht hervorgehoben werden.

Abb. 76 Kamerawinkel

  • Die Untersicht bedeutet, dass die Kamera von schräg unten auf Figuren oder Objekte gerichtet ist. Eine Extremform stellt die so genannte „Froschperspektive“ dar, die bei der Betrachterin/beim Betrachter ein Gefühl der Unterlegenheit erzeugen kann. Mit der Untersicht kann aber auch jemand erhöht, als besonders und verehrenswert bzw. anbetungswürdig darstellt werden.
  •  

  • Bei der Aufsicht wird wiederum auf Figuren und Objekte herabgeblickt, wobei die so genannte „Vogelperspektive“ als Sonderform zu betrachten ist. Die Aufsicht kann ein Gefühl der Überlegenheit suggerieren, aber auch Weitsicht einer Person ausdrücken.
  • Zwischen der Untersicht und der Aufsicht ist schließlich noch die Normalansicht zu unterscheiden, die der gewohnten Sehweise auf Augenhöhe entspricht.

Abb. 77 Kamerafahrt

Auch die Kamerabewegungen gelten als filmsprachliche Mittel.(11)

  • Beim Kameraschwenk wird die Kamera bei unverändertem Standort bewegt. Damit verschiebt sich der Ausschnitt des Gezeigten. Der Bildraum wird damit erweitert.
  •  

  • Die Kamerafahrt ist eine Bewegung der Kamera durch den Raum. Häufig dient sie dazu, einer sich bewegenden Handlung (z. B. Gespräch während des Gehens) zu folgen. Den Zuschauerinnen/Den Zuschauern wird der Eindruck vermittelt, selbst der Handlung zu folgen. Auch damit wird Nähe zu den Akteur/innen suggeriert.
  •  

  • Schließlich erzeugt auch die Veränderung der Brennweite eine zumindest virtuelle Bewegungswirkung. Durch den Zoom können Einstellungsgrößen ohne Schnitt geändert werden. Das Einzoomen als Bewegung hin zu einem Objekt bringt es dem Publikum auch im übertragenden Sinn näher.

Abb. 78 35-mm-Kinofilm mit Tonspur aus zwei Doppelzackenspuren

Abb. 79 Tonaufnahme

Ton

Film kommuniziert mit der Kombination von sichtbaren und hörbaren Zeichen (audiovisuell), wobei der Ton – mehr als visuelle Zeichen – oft nicht bewusst wahrgenommen wird. Neben filmtechnischer Bedeutung, d.h. neben seiner Funktion, einzelne Einstellungen zu verbinden, ist der Ton auch ein Bedeutung tragendes Element. Zum Ton gehören Sprache, Geräusche und Musik.(12)

Erzähler/innen-Modus: Bei der Voice-over-Technik wird die Stimme von Sprecherinnen/von Sprechern über die Bilder des Films gelegt. Die Erzählerin/Der Erzähler ist weder auf der Leinwand zu sehen, noch könnte sie/er aus dem „Off “ in das Bild treten. Hier gibt es einerseits die subjektive Erzählerin/den subjektiven Erzähler, andererseits – zumindest scheinbar – die objektive Erzählerin/den objektiven Erzähler, die/der mit der auktorialen Erzählerin/dem auktorialen Erzähler in der Literatur vergleichbar ist. Diese/r ist allwissend, kennt alle Fakten und selbst die Gefühle von Figuren, gibt Informationen und interpretiert. Zu beachten ist, dass den gezeigten Bildern erst durch die Erzählungen Bedeutung verliehen wird.

In Bezug auf die Sprache ist auch das wichtig, was die dargestellten Personen sprechen: der Inhalt selbstverständlich, ebenso die Intonation und Lautstärke, aber auch die Kombination mit Geräuschen und Musik sowie der Bildgestaltung. Geräusche und Musik werden meist recht konventionell eingesetzt, d.h. sie kennzeichnen dramatische Inhalte, können Spannung erzeugen, Traurigkeit oder Fröhlichkeit vermitteln und den Eindruck heldenhafter Taten verstärken.

Die Analyse des Tons ist interessanterweise weniger elaboriert als etwa jene des Bildes. Dass Bilder kein objektives Abbild der Wirklichkeit sind und dass bewusste Ausschnitte gewählt werden (Kadrierung), ist heute allgemein anerkannt. Beim Ton scheint dieses Bewusstsein nicht vorhan den zu sein, weshalb Gedanken zu einer Quellenkritik des Tons sinnvoll erscheinen. Eingriffe und Veränderungen im Bereich des Tons werden in der Filmanalyse nur am Rande problematisiert. Sie sind aber im Zuge der Quellenkritik des Films zu berücksichtigen. Denn schon die Aufnahme verändert die Wirklichkeit, etwa durch die Art und die Platzierung des Mikrofons. Die verschiedenen Charakteristika von Mikrofonen nehmen unterschiedliche Räume auf. Nahbesprechungsmikrofone etwa bilden nur den akustischen Raum ab, der sich unmittelbar vor dem Mikrofon befindet. Mikrofone mit Kugelcharakteristik hingegen nehmen einen kugelförmigen Raum rund um das Mikrofon auf. Ähnlich wie die Kadrierung des Bildes selektiert also auch die akustische Aufnahme Teile der Wirklichkeit. Häufig werden Töne künstlich digital produziert und besitzen in der Wirklichkeit kein Äquivalent im Sinne eines „signifié“ (Ferdinand de Saussure). Auch die Weiterbearbeitung durch Filtern, Dämpfen, Verzerren oder Stimmveränderung wie das Betonen von Bässen verändert den Originalton. Die nachträgliche Ergänzung des Bildes durch Ton vermischt häufig Originaltöne, also die Aufnahmen des tatsächlichen Ereignisses, mit nachträglichen Ergänzungen (etwa unterlegter Musik und Geräuschen oder der Voice-over-Technik). Somit werden zwei Zeitebenen miteinander verbunden.

Ähnlich wie bei der Bildgestaltung kann auch im Zusammenhang mit dem Ton vorgegangen werden. Zunächst werden die Fachbegriffe erklärt und schließlich wird anhand von Beispielen deren praktische Bedeutung erfasst. Dabei bieten sich zwei Möglichkeiten an: Zum einen kann eine – am besten wieder von den Schülerinnen/den Schülern ausgewählte – Filmsequenz hinsichtlich des Tones analysiert werden, zum anderen können die Schüler/innen auch selbst eine Vertonung einer Filmsequenz versuchen. (Munaretto 2007,54 und 84)

Im Prozess der Gestaltung von Sendungen kommt es schließlich auch zur Veränderung des zeitlichen Ablaufs. Der Ton wird nicht unbedingt in der aufgenommenen Abfolge wiedergegeben, sondern kommt in einen neuen Kontext (das gilt im Übrigen auch für die Bilder). Töne, die bereits „gehört“ wurden, beeinflussen die Rezeption der nächsten Töne. Das wird vor allem deshalb oft nicht beachtet, weil durch die Vorführung im Kontinuum eine zeitliche Abfolge, die eine bestimmte Logik vorgibt, suggeriert wird. Auch Töne, die gleichzeitig zu hören sind, wie Interviews und Musik, beeinflussen sich gegenseitig in ihrer Bedeutung. In der Nachbearbeitung von Ton werden häufig bewusste Veränderungen vorgenommen. Durch die Auswahl von Aussagen kann der Kontext von gesprochenen Texten verloren gehen. Schnitte verkürzen Aussagen, und Versprecher oder Sprechpausen, die über Befindlichkeiten von Sprecherinnen/von Sprechern – etwa über ihre Unsicherheiten – Auskunft geben, fallen manchmal weg.

dgpb © Thomas Hellmuth, Ewald Hiebl

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