Unterrichtsbeobachtung
Klaus Edel, Sylvia Gettinger, Karin Ruprecht
2. Unterrichtsbeobachtung
Im Abschnitt Unterrichtsbeobachtung werden Sie Gelegenheit haben, Ihr Wissen und /oder Ihre Fertigkeiten zum Thema Unterrichtsbeobachtung zu vertiefen. Videoaufzeichnungen bieten die Möglichkeiteit, konkrete Lernprozesse zu beobachten. Dadurch können Sie Ihre eigene Kompetenz in der Unterrichtsbeobachtung und Prozessanalyse mit Hilfe der angebotenen Übungen entwickeln bzw. intensivieren. Die Systematik des Zirkulären Modells soll Ihnen dabei behilflich sein. Beobachtung und Selbstreflexion sind die zentralen Instrumente, aus denen die/der Lehrer/in Informationen über die Struktur des Lernprozesses gewinnen kann. Wollen wir den Unterricht beobachten, so müssen wir zugleich fragen, nach welchen Theorien wir unsere Wahrnehmung dabei steuern.
2.1 Beobachtungsablauf
Für die Durchführung einer Unterrichtsbeobachtung sind eine Reihe wichtiger Schritte zu beachten. In der Vorbereitung geht es um die Fragen:
- Was will ich beobachten?
- Was soll ich beobachten?
- Warum wird beobachtet?
- Wann und wie lange wird beobachtet?
- Welche Methode erscheint dafür besonders geeignet?
Um einen erfolgreichen Ablauf zu garantieren, ist es meist notwendig:
- die Beobachter/innen in der/den entsprechende/n) Methode(n) zu schulen.
- die Forschungsfrage eventuell noch nachzujustieren.
Nach der Durchführung der Beobachtung erfolgt:
- die Auswertung und
- Analyse der erhobenen Daten.
Zum Abschluss ist es notwedig mit den beobachteten Lehrerinnen/Lehrern ein abschließendes Gespräch zu führen.
2.2 Definition des Forschungsproblems
Vor Beginn der Beobachtungsarbeit muss anhand theoretischer Überlegungen oder von Pretests die Definition des Forschungsproblems erfolgen. Die/Der Forscher/in muss sich bewusst sein, dass jede Beobachtung nur eine Auswahl aus der Gesamtheit der Ereignisse darstellt.
2.2.1 Kernfragen
Was will ich beobachten?
- Personen(gruppen)
- Bereiche
- Verhaltensweisen
Je begrenzter der Beobachtungsbereich ist, desto präziser wird die Beobachtung. Doch besteht die Gefahr, dass bei zu engem Fokus wesentliche Momente der Fragestellung ausgeblendet bleiben.
Was soll ich beobachten?
In diesem Fall gibt es ein von den zu beobachtenden Lehrerinnen/Lehrern ausgehendes Forschungsinteresse, wie beispielsweise die Annahme, dass im Unterricht Schülerinnen oder Schüler bevorzugt gefragt werden.
Für die in den Lehrveranstaltungen eingesetzte Videobeobachtung könnte es auch ein konkreter Beobachtungsauftrag im Rahmen einer Übung sein.
Warum will ich beobachten?
Welche Annahmen und Erwartungen sind damit verbunden? Sie sind das theoretische Gerüst, mit dem die Rekonstruktion bestimmter Situationen und ihrer Merkmale erfolgen kann.
Wann und wie lange will oder kann ich beobachten?
Geht es beispielsweise um bestimmte Sequenzen einer Unterrichtseinheit, wie die Einleitung der Stunde oder um Verhaltensmuster in wiederkehrenden Situationen? Der Zeitfaktor ist aber auch eine Frage der Ressourcen.
2.3 Zugänge zur Unterrichtsbeobachtung
Um sich für eine Methode zu entscheiden, sind fünf Überlegungen zu treffen.
- zur Alternative quantitative - qualitative Beobachtung
- zur Strukturiertheit (Standardisierung)
- zur Teilnahme
- zur Offenlegung der Beobachtungsabsichte
- zur Form
2.3.1 Methoden
2.3.1.1 quantitative - qualitative Untersuchungen
Quantitative Untersuchung
Die soziale Realität gilt als objektiv und mit kontrollierten Methoden erfassbar. Das Verhalten wird – in primär zeitlich messbare Einheiten zerlegt und deren kleinste, vollständig deutbare als Beobachtungseinheit definiert. Die empirische Forschung will theoriegeleitete Daten sammeln, die den Gütekriterien und der Intersubjektivität entsprechen müssen und die primär der Prüfung der vorangestellten Theorien und Hypothesen dienen. Oft fallen Datensammlung und –auswertung zeitlich und personell auseinander. neue Einheit.
In der Interaktionsanalyse von Bales werden soziale Interaktionen, wenn beispielsweise in einer Diskussionsrunde eine neue Person spricht, als neue Einheit bestimmt.
Qualitative Untersuchungen
Es gilt die Annahme, dass die Akteure Objekten Bedeutungen zuschreiben, die sich nicht starr nach Normen und Regeln verhalten, sondern soziale Situationen interpretieren und so prozesshaft die soziale Wirklichkeit konstituieren.
Die Untersuchungen wollen in erster Linie komplexere Situationen und Interaktionen erfassen. Es handelt sich im Vergleich zur quantitativen Methode um offenere und umfassendere Beobachtungseinheiten. Dementsprechend werden hier oft Situationen als Beobachtungseinheiten herangezogen.
2.3.2 Strukturiertheit
Der Begriff bezieht sich sowohl auf den Prozess der Wahrnehmung, als auch der Aufzeichnung. Theoretisch ist die Kombination einer strukturierten Wahrnehmung mit unstrukturierter Aufzeichnung möglich. Statt Strukturiertheit wird auch der Begriff Standardisierung verwendet.
2.3.2.1 strukturierte (standardisierte) Beobachtung
Dabei werden Verfahren verwendet, die von der wissenschaftlichen Forschung entwickelt wurden. Sie sind in höherem Maße theorieabhängig als nichtstandardisierte Verfahren. Ein Beispiel für strukturierte Beobachtung wäre die Interaktionsanalyse(1).
Wichtig: Die/Der Beobachter/in muss in das Verfahren eingeschult sein.
2.3.2.2 unstrukturierte (nichtstandardisierte) Beobachtung
Hier gibt es keine verbindliche Form, aber es stehen unterschiedliche Methoden zur Verfügung, eine Auswahl wird nachfolgend ausgeführt.
- Strichlisten
- Beobachtungsschemata
- Verlaufsprotokoll
- Situationsbeschreibung
- Fachinhaltsprotokoll
- Didaktisch-methodisches Protokoll
2.3.2.2.1 Strichlisten
Zur Vorbereitung der Beobachtung werden Merkmale oder Ereignisse definiert, die im Unterricht zu erwarten sind. Zum Protokollieren erstellt die/der Beobachter/in einen Raster und für jedes Auftreten eines Merkmals oder Ereignisses erfolgt ein entsprechender Eintrag in der Liste durch einen vertikalen Strich. Sinnvollerweise wird jeder fünfte Strich horizontal gezeichnet und damit die vier davor gemachten Striche durchgestrichen. Damit entstehen Fünfergruppen, die eine rasche Auswertung erlauben.
2.3.2.2.2 Beobachtungsschemata
Beobachtungsschemata ermöglichen es, mit relativ geringem Aufwand Daten festzuhalten. Beispielsweise lässt sich der "Aktionsraum" von Lehrerinnen/Lehrern während einer Unterrichtseinheit nachvollziehen, indem auf einem Sitzplan die jeweilige Bewegung mit einer Verbindungsline vom Ausgangspunkt zum Ziel festgehalten wird.
2.3.2.2.3 Verlaufsprotokoll
Ein Verlaufsprotokoll soll chronologisch so genau wie möglich den beobachteten Unterricht beschreiben. Erfassen Sie dabei die Aktivitäten von Lehrer/in und Schüler/innen bzw. halten Sie möglichst wortgetreu fest, was Lehrer/in bzw. Schüler/innen sprechen.
Für die Arbeit ist es eine Erleichterung, wenn sie für häufig wiederkehrende Begriffe Abkürzungen, wie LehrerIn (L), Schüler/in (S), Schüler/innen (SS) oder Gruppenarbeit (GA) etc. festlegen. Ebenso ist es hilfreich sich für die Beobachtung einen Sitzplan zu beschaffen und die Schüler/innen über Namenskürzel oder laufende Nummerierung identifizierbar zu machen. Um in Ihrem Protokoll beschreibende und kommentierende bzw. interpretierende Informationen klar abzugrenzen, empfiehlt es sich, die Seiten für das Protokoll zu halbieren, um die Eintragungen in der entsprechenden Hälfte tätigen zu können. Zu vermeiden sind in diesem Zusammenhang Werturteile oder Vorschriften.
Die konzentrierte Beobachtung und Protokollierung über eine ganze Unterrichtseinheit stellt eine große Herausforderung dar und daher wird es in vielen Fällen sinnvoller sein, intensive Phasen mit solchen geringerer Intensität abzuwechseln.
Nach der beobachteten Stunde sollten Sie das Verlaufsprotokoll nochmals durchsehen, um Fehler zu korrigieren oder Ergänzungen anzubringen bzw. Unklarheiten zu beseitigen.
2.3.2.2.4 Situationsbeschreibung
In dieser Form steht weniger die Verteilung und Häufung von Verhalten(sweisen) im Unterricht im Mittelpunkt sondern die Teilnehmer/innen am Unterricht und die Beschreibung der Entwicklung und Durchführung der Unterrichtssituation bzw. der Determinanten, die diese beeinflussen.
2.3.2.2.5 Fachinhaltsprotokoll
Im Inhaltsprotokoll sollen die fachwissenschaftlichen Aspekte des beobachteten Unterrichts festgehalten werden.
- Welche Lehrstoffauswahl hat die/der Lehrer/in zur Behandlung des Themas getroffen?
- Wie wurde das Material strukturiert?
- Ermöglicht das Material einen multiperspektischen Unterricht?
- Wie aktuell ist das Material?
- Orientiert sich die Auswahl an den Bedürfnissen der Schüler/innen?
- Ist der gewählte Lehrstoff Lehrplankonform?
- Sind in der Darstellung des Inhalts sachliche Fehler (falsche Daten, falsche Personen z.B. durch Verwechslung, falsche inhaltliche Angaben) festzustellen?
2.3.2.2.6 Didaktisch-methodisches Protokoll
Der Verlauf der beobachteten Unterrichtsstunde wird in Bezug auf dargebotene Inhalte und ihre methodisch - didaktische Umsetzung in einem vorbereiteten Formular (als pdf) aufgezeichnet.
2.3.3 Teilnahme
Die Entscheidung über die Teilnahme bezieht sich auf den Partizipationsgrad mit dem die/der Beobachter/in an der sozialen Situation die sie/er beobachtet, involviert ist. Da die/der Beobachter/in durch ihre/seine Wahrnehmungs- und Interpretationstätigkeit in die übergeordnete Beobachtungssituation integriert ist, kann es nicht zu „Nichtteilnahme“ kommen. Der Grad der Partizipation reicht daher von passiv bis aktiv .
2.3.3.1 passive Teilnahme
Die/Der Beobachter/in kann sich ganz auf ihre/seine Rolle als Forscher/in beschränken. Sie/Er nimmt wenig bis nicht an den zu untersuchenden Interaktionen bzw. sozialen Konstellationen teil (complete observer).
Vorkommen: In der Interaktionsanalyse bzw. in Laborsituationen (Microlab) um in Sekundenschnelle strukturierte Aufzeichnungen zu machen.
Dieser Form wurde lange mehr Objektivität und intersubjektive Überprüfbarkeit zugestanden, da bei ihr quasi wie von außen, weitgehend unbeteiligt am sozialen Geschehen, beobachtet wird. Die/Der Beobachter/in kann sich aber nicht in die Lebenswelt der zu Untersuchenden versetzen und deren Verhalten nachvollziehen, sondern bleibt außerhalb. Es besteht daher die Gefahr, dass sie/er aus der eigenen Welt Erklärungsmuster auf die zu beobachtende Gruppe überträgt und so fremdes Verhalten am Prüfstein eigener Verhaltensregeln, –erwartungen misst und beurteilt (Ethnozentrismus).
2.3.3.2 aktive Teilnahme
Die/Der teilnehmende Beobachter/in nimmt an der natürlichen Lebenswelt der Untersuchungspersonen teil. Das führt immer dazu, dass sie/er eine Teilnehmer-/innenrolle im Feld übernimmt.
Dies stellt hohe Anforderungen an die/den Beobachter/in, da einerseits eine Identifikation mit der/den Untersuchungsperson(en) für das Verständnis ihres Verhaltens notwendig ist, andererseits ein unreflektiertes, bedingungsloses „going native“ zu methodischen Problemen führen kann.
2.3.3.2.1 Stufen der aktiven Teilnahme
Es gibt verschiedene Stufen der aktiven Teilnahme:
- „observer -as participant“ (Beobachter/in als Teilnehmer/in): Wenn sie/er sich zwar überwiegend auf ihre/seine Beobachter/innentätigkeit konzentriert, gelegentlich aber „kleine Handreichungen“ verrichtet, um sich im Feld zu integrieren. Kann sich aber meist jederzeit aus dem Geschehen zurückziehen.
- „participant - as observer“ (Teilnehmer/in als Beobachter/in): Sie/Er ist in erster Linie Teilnehmer/in am sozialen Geschehen und in zweiter Linie Beobachter/in. In der Praxis oft nur schwer von a) zu unterschieden. Durch wachsende Vertrautheit und andauernde Feldintegration kann a) in b) übergehen. In beiden Fällen wird die Beobachtung offen durchgeführt.
- „complete participant“: Das bedeutet die völlige Identifikation mit dem Feld. Die/Der Forscher/in verheimlicht ihre/seine Forschungsabsicht und auf diese Weise ist sie/er in der sozialen Gruppe ein voll anerkanntes Mitglied, beeinflusst damit auch den Ablauf sozialer Situationen.
Die völlige Identifikation mit dem Feld ermöglicht zwar Verständnis durch inneren Nachvollzug der beobachteten Verhaltensweisen, setzt aber auch eine gewisse Empathie durch den/die ForscherIn zum Feld voraus. Das kann sowohl zu methodischen als auch ethischen Problemen führen.
2.3.4 Offenlegung der Beobachtungsabsichten
Hier ist zwischen
- offener
- verdeckter
Beobachtungsabsicht zu unterscheiden.
2.3.4.1 offene Beobachtung
Die Beobachteten wissen von der Beobachtung. Die/Der Beobachter/in kann ihre/seine Identität als Forscher/in behalten. Nach anfänglichem Misstrauen und Irritation, tritt ein Gewöhnungseffekt an die/den Beobachter/in sowie Aufzeichnungsgerät (z.B. Kamera) und -methode ein und es verschwinden die methodenbedingten Verzerrungen.
Der Vorteil der offenen Form ist, dass dadurch ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden kann, das einen Informationsaustausch und ein Verstehen der fremden Lebenswelt ohne Täuschung ermöglicht.
2.3.4.1.1 Variationen der Offenheit
- Die Tatsache der Beobachtung ist bekannt, aber über den Beobachtungszweck und die Forschungsfrage sind die Beobachteten nicht oder nicht alle in gleicher Weise informiert. (Diese Form wird gewählt, wenn die Forschungsfrage den Zugang zum Feld erschweren würde.)
- Nur eine Gruppe der Beobachteten weiß von der Beobachtung, der andere Teil nicht.
2.3.4.2 verdeckte Beobachtung
Die Beobachteten wissen nichts von der Beobachtung. Ihr Verhalten soll durch den Beobachtungsvorgang nicht gestört oder verändert werden. Sie sollen sich möglichst natürlich verhalten.
Anmerkung: Die verdeckte Beobachtung ist eher selten, wird meist nur angewendet, wenn eine offene nicht möglich ist, da sie u.a. leicht zu Misstrauen führt.
Möglichkeit:
- Räumliche Tarnung: Durch halbdurchlässige Spiegel oder ein nicht einsehbares Fenster (z.B. Studie Marienthal)
- Rollentarnung: Die/Der Beobachter/in hat eine Doppelfunktion, und muss ihre/seine Rolle durchgehend aufrechterhalten und auch vor sich selbst legitimieren. Es besteht die Gefahr der Enttarnung und damit die Gefahr des Abbruchs der Feldarbeit. Darüber hinaus verbirgt sich dahinter auch die forschungsethische Frage, ob dies nicht Missbrauch der Beobachteten bedeutet.
2.3.5 Form der Beobachtung
- künstliche Situation (Laborbeobachtung)
- natürliche Situation (Feldbeobachtung))
- Videobeobachtung
2.3.5.1 Laborbeobachtung
Dabei wird ein Sachverhalt oder Vorgang unter planmäßig vereinfachten, „reinen“ Bedingungen untersucht. Je eine Versuchs- und Kontrollgruppe werden in einer „künstlichen“ Situation daraufhin beobachtet, ob ein bestimmter Faktor auch tatsächlich die ihm zugeschriebene Wirkung hervorruft. Die Anordnung ermöglicht es andere Faktoren auszuschalten. Kontroll- und Experimentalgruppe unterscheiden sich nur darin, dass in der Kontrollgruppe die unabhängige Variable (der Kausalfaktor) nicht wirksam werden soll.
Beispiele: Microteaching, Reflective teaching
2.3.5.1.1 Microteaching
Es werden Unterrichtssequenzen von 5 – 15 Minuten gehalten und auf Video aufgezeichnet. Anschließend erfolgt anhand eines Beobachtungsrasters (meist von Lehrenden vorgegeben) die Analyse. Student/innen übernehmen dabei die Rolle der Schüler/innen.
Teachings skills können z.B. Frageformen, nonverbales Verhalten der/des Lehrerin/Lehrers sein.
2.3.5.1.2 Reflective teaching
In kurzen Sequenzen, für die die Ziele und Lerninhalte von den Lehrenden vorgegeben sind und die Entscheidung über Lehr/Lernformen bei den Trainierenden liegt, erproben die Studierenden die Unterrichtspraxis. Die Evaluation des Lerneffekts erfolgt bei den Schüler/innen mittels eines Lerntests.
Der große Nachteil der Arbeit im Labor ist, dass es keine Sicherheit gibt, dass das Verhalten der Studentinnen/Studenten im Labor auch in der realen Unterrichtsstunde so funktioniert. Oft treten Probleme auf, die in der Wirklichkeit nicht, oder in verstärktem Ausmaß auftreten.
2.3.5.2 Feldbeobachtung
Hier erfolgt die Beobachtung während einer Unterrichtsstunde, sie untersucht das soziale Verhalten der Akteure in ihrer natürlichen Umwelt, unter den dort herrschenden Bedingungen, wie vorgegebenen Zeiten und Räumlichkeiten und damit bleiben die Rahmenbedingungen gegenüber dem Alltag unverändert.
2.3.5.3 Videografie
Speziell für die Arbeit in den Kursen in der Fachdidaktik und den Lehrveranstaltungen der FeLP(2) wurde die Videobeobachtung als eigene Form hervorgehoben.
Einerseits videografierten die Studentinnen/Studenten ihre Auftritte in der Klasse, um sie anschließend analysieren zu können. Andererseits wurden für Übungszwecke zur Beobachtung und Analyse Videos mit authentischen Unterrichtsaufnahmen aber auch modellhafte Beispielvideos (best practice oder learn setting videos) sowohl für die Präsenzlehre als auch für die online Arbeit zur Verfügung gestellt. Zu diesem Zweck sind diese Aufnahmen mit kontextualisierten Zusatzmaterialien (Planungsmatrix, Interviews mit den Akteurinnen/Akteuren, Arbeitsunterlagen, Theorieverweise etc) versehen.
Die Videobeobachtung kombiniert durch die Nutzung der Aufzeichnung einer realen Unterrichtssituation Elemente der Feld- mit denen der Laboruntersuchung, da das Video losgelöst von der realen Klasse eine künstliche Situation erzeugt.
2.3.5.3.1 Vorteile der Videografie
- Bild und Ton stehen nach der Aufnahme sofort zur Verfügung und laufen synchron in realer Zeit ab.
- Die Aufzeichnung ist beliebig oft wiederholbar, dadurch können die Beobachtungsaufgaben exakter durchgeführt werden.
- Die Ergebnisse der Analyse lassen sich anhand der Aufzeichnung präziser belegen und eventuell den Beobachteten durch die Vorführung besser erklären.
- Es können an ein und demselben Video immer wieder neue Beobachtungsschwerpunkte untersucht werden, ohne dass wie bei vergleichbarer Feldforschung durch die aktive Präsenz von zu vielen Beobachterinnen/Beobachtern die Unterrichtssituation belastet und eventuell auch verfälscht wird.
- Es kann ein Forschungsproblem mittels unterschiedlicher, sowohl quantitativer wie qualitativer Methoden untersucht werden, was einerseits den Studentinnen/Studenten einen Vergleich in der Praxis ermöglicht und andererseits die Ergebnisse besser im Sinne der Gütekriterien abgesichert erscheinen lässt.
- Es ist nicht notwendig sich vor der Aufzeichnung auf eine Auswahl zu bebobachtender Unterrichtsmerkmale festzulegen.
2.3.5.3.2 Probleme der Videografie
- Für die Aufnahme sind Personen und Geräte (Kamera, Mikrofone) notwendig, die sich störend auf die Klassensituation auswirken können. Beispielsweise, wie in Abb. 37 sichtbar, drehen sich Schüler/innen in Richtung Kamera um.
- Bei einer statischen Kamera tritt zwar bald ein Gewöhnungseffekt ein, dafür gehen unter Umständen Situationen verloren, die von der Kamera nicht erfasst werden.
- Bei nicht statischer Kameraführung bestimmt der/die Aufnehmende durch die Kameraführung, den Einsatz des Zooms etc. was auf dem Video in welcher Weise sichtbar gemacht wird und was außerhalb der Kamera bleibt. Daher bietet das Video nur einen subjektiven Einblick.
2.3.6 Gütekriterien
Als Gütekriterien werden jene Merkmale bezeichnet, die dazu dienen, die Qualität von Erhebungsverfahren, ihrer Konzeption und Anwendung zu verifizieren. Die drei Hauptgütekriterien sind:
- Objektivität
- Reliabilität
- Validität
Sie wurden im Rahmen der statistischen Testtheorie entwickelt.
Gütekriterien sind sowohl für die standardisierte oder hypothesenprüfende (quantitative) wie auch rekonstruktive oder theoriebildende (qualitative) Forschung relevant.
2.3.6.1 Objektivität
Objektivität meint, dass eine zweite Person, die das gleiche Phänomen wie die/der Beobachter/in untersucht, zu gleichen Ergebnissen gelangt.
2.3.6.2 Reliabilität
Reliabilität bedeutet, dass die/der Forscher/in bei einer Wiederholung der Beobachtung das gleiche Ergebnis feststellt und damit zeigt dass es frei von Zufallsfehlern ist.
2.3.6.3 Validität
Die Ergebnisse einer Unterrichtsbeobachtung sind valide, wenn die erhobenen Daten geeignete Werte bzw. Aussagen für die zu untersuchende Fragestellung sind.
Dabei kann zwischen
- kriterienbezogener Validität
- Inhaltsvalidität
- Konstruktvalidität
unterschieden werden.
2.4 Einschulung der Beobachter/innen
Da der Wahrnehmungsfähigkeit von Menschen physische Grenzen gesetzt sind und auch der Faktor Zeit berücksichtigt werden muss, ist es insbesondere bei komplexeren Beobachtungsverfahren, wie beispielsweise dem Interaktions - Analysesystem von Flanders sinnvoll, die Beobachter/innen vor der Durchführung einzuschulen.
2.5 Justierung
Als Folge eines Pretests oder von Vorgesprächen erweist es sich meist als notwendig, die ausgesuchte Methode und die darin enthaltenen Kategorien zu revidieren und nachzubessern.
2.6 Durchführung der Unterrichtsbeobachtung
Für die Qualität der Durchführung einer Unterrichtsbeobachtung ist es ganz wesentlich, dass sie tatsächlich auf das zu Beginn definierte und unter Umständen durch Pretests oder Vorerhebungen noch nachjustierte Forschungsproblem abzielt. Ebenso sind die Gütekriterien und die methodischen Vorgaben einzuhalten.
2.7 Datenaufbereitung und Datenanalyse
In der Datenaufbereitung werden die bei der Unterrichtsbeobachtung entstandenen Datenmengen betrachtet bzw. gelesen, um sich die Ereignisse und Erfahrungen nochmals zu vergegenwärtigen.
Durch Datenreduktion soll das Wesentliche herausgefiltert, Zusammengehöriges verbunden und komplexe Sachverhalte vereinfacht werden.
Die so reduzierten Daten werden anschließend in übersichtlicher Form entweder graphisch oder durch Layoutierung des Textes dargestellt und bilden die Grundlage für Analyse und Interpretation.
2.8 Besprechung mit den Beobachteten
Nach der Datenaufbereitung und -analyse ist es sinnvoll die Ergebnisse mit den Betroffenen zu besprechen und zu diskutieren. Diese Gespräche sollen konstruktiv und fair geführt werden, indem Positives betont, weniger Gelungenes und zu Verbesserndes nicht an den Pranger gestellt sondern konstruktiv behandelt wird.
Abbildungsverzeichnis
- Abb. 9 Beobachtungsablauf © S. Hofschlaeger, www.pixelio.de
- Abb. 10 Definition des Forschungsproblems © klaus edel, dgpb
- Abb. 11 Was © klaus edel, dgpb
- Abb. 12 Bevorzugung © Martin Hämmerle, Universität Wien
- Abb. 13 Warum © B. Stolze, www.pixelio.de
- Abb. 14 Zeit © Gerd Altmann, www.pixelio.de
- Abb. 15 Methoden © klaus edel, dgpb
- Abb. 16 Laser © klaus edel, dgpb
- Abb. 17 neue Einheit © Franz Trimmel, privat
- Abb. 18 Interaktion © Martin Hämmerle, Universität Wien
- Abb. 19 Strichliste © klaus edel, dgpb
- Abb. 20 Aktionsraum © DO Material
- Abb. 21 Aktionsraum © DO Material
- Abb. 22 Protokoll © Rainer Sturm, www.pixelio.de
- Abb. 23 Situation © S. Hofschlaeger, www.pixelio.de
- Abb. 24 Inhaltsprotokoll © klaus edel, dgpb
- Abb. 25 didaktisch-methodisches Protokoll © klaus edel, dgpb
- Abb. 26 Beobachtung © klaus edel, dgpb
- Abb. 27 passive Teilnahme © Stephanie Hofschlaeger, www.pixelio.de
- Abb. 28 aktive Teilnahme © Stephanie Hofschlaeger, www.pixelio.de
- Abb. 29 kleine Handreichungen © Stephanie Hofschlaeger, www.pixelio.de
- Abb. 30 complete participant © Stephanie Hofschlaeger, www.pixelio.de
- Abb. 31 Beobachter © Paul-Georg Meister, www.pixelio.de
- Abb. 32 Gruppe © S. Hofschlaeger, www.pixelio.de
- Abb. 33 halbdurchlässiger Spiegel© United States Federal Government [Public domain], wikimedia commons
- Abb. 34 Microlab © Dieter Huber, privat
- Abb. 35 Unterrichtsbeobachtung © klaus edel, dgpb
- Abb. 36 videografieren © klaus edel, dgpb
- Abb. 37 Videografie © Martin Hämmerle, Universität Wien
- Abb. 38 Objektivität © knipselio, www.pixelio.de
- Abb. 39 Reliabilität © klaus edel, dgpb
- Abb. 40 Übereinstimmungsvalidität © Joujou, www.pixelio.de
- Abb. 41 Einschulung der Beobachter/innen © klaus edel, dgpb
- Abb. 42 einschulen © Rainer Sturm, www.pixelio.de
- Abb. 43 Justierung © klaus edel, dgpb
- Abb. 44 Durchführung Beobachtung © klaus edel, dgpb; GRG23
- Abb. 45 Daten © klaus edel, dgpb
- Abb. 46 Besprechung mit den Beobachteten © klaus edel, dgpb; Gerd Altmann, www.pixelio.de