Bilder erinnern - Überlegungen zu Möglichkeiten und Grenzen der Filmvermittlungen zum Thema Holocaust
Katharina Kreutzer
1. Einleitung – Bilder vermitteln
Gedenkjahr 2018. Eines der traurigen Jubiläen ist das Jahr 1938, der „Anschluß“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland. Damit geht auch ein Gedenken an den Holocaust einher, der wenige Jahre später systematisch und mit industriellen Methoden durchgeführt wurde. Wie kann man an einen Völkermord würdig erinnern, bei dem mehrere Millionen Menschen ermordet wurden? Wie kann dieses unvorstellbare Ausmaß erfasst werden und trotzdem dem Kleinen, Individuellen und Menschlichen darin gedacht werden, damit nicht alles im unfassbaren Grauen und in abstrakten Mengen stecken bleibt? Im vorliegenden Beitrag soll insbesondere überlegt werden, wie Film und Filmvermittlung sich mit dieser Erinnerung auseinandersetzen können und welche Möglichkeiten für die Gedenkkultur in Zusammenhang mit Spielfilm liegen. Zwei Dinge sind dazu festzuhalten: Zum einen ist es unverzichtbar, Bescheid zu wissen über ein historisches Verbrechen dieses Ausmaßes. Es hat mit uns zu tun, auch wenn die persönlich und unmittelbar Betrogenen immer weniger werden. Zum anderen bleibt das alleinige Wissen darum abstrakt, wenn nicht persönliche Bezüge in die Gegenwart hergestellt werden können. An dieser Stelle können Filme einen wichtigen Beitrag leisten, aufgrund narrativer und ästhetischer Möglichkeiten, die dem Medium zu Grunde liegen. Film kann informieren, sowie Abläufe wiedergeben und sichtbar machen. Insbesondere der Spielfilm formt durch eine fiktionale Erzählweise historische Ereignisse zu einer emotional nachvollziehbaren Geschichte. Außerdem bedingt es schon die Entstehung einzelner Filmbilder, bedenkt man beispielsweise Kameraeinstellungen und Kameraperspektiven, verschiedene Standpunkte einzunehmen, die im besten Fall auch von den Rezipientinnen/Rezipienten differenziert wahrgenommen werden können. Ein wesentlicher Punkt hier ist, dass Filme je nach Machart mehr oder weniger Platz lassen, für die eigenen Emotionen und Erinnerungen ihres Publikums und so eine persönliche Verbindung zum Gesehenen ermöglichen. Es muss erwähnt werden, dass Filmbilder mit ihrer intensiven Wirkungswei-se auch die Möglichkeit zur Manipulation ihrer Betrachter in sich tragen, was in der Geschichte schon bewiesen wurde und auch heutzutage wohl ständig passiert. Daher sollte ein reflexiver und kritischer Umgang mit dem Medium immer vorausgesetzt sein und zusätzlich zur inhaltlichen Aufarbeitung auch immer Teil der filmischen Vermittlungsarbeit sein.
Seit den ersten dokumentarischen Bildern bei der Befreiung der Konzentrationslager durch die Alliierten sind unzählige filmische Auseinandersetzungen mit dem Thema entstanden, bis heute auch viele Spielfilme. An dieser Stelle ein Zitat aus dem Katalog des Jüdischen Museums in Wien, das sich auf die Darstellung von Geschichte in einer Ausstellung bezieht. Es kann ebenso gut für das Medium Film geltend gemacht werden:
„[...] ist Ausdruck zeitgenössischer Ansicht von und Einsicht in Geschichte. Die Darstellung einer Summe verschiedener historischer Ereignisse, Entwicklungen oder Zusammenhänge ist Interpretation der Vergangenheit aus der Gegenwart heraus. Jede Ausstellung über Vergangenheit ist also eingebunden an Gegenwart." (Heimann-Jelinek o.J., 61)
Für den Film ist dazu anzumerken, dass es quasi möglich ist aus jedem Jahrzehnt ein Werk auszuwählen, das aus seiner zeitlichen Perspektive heraus auf die historischen Ereignisse blickt und gleichzeitig sind dessen Rezipientinnen/Rezipienten in ihrer jeweiligen Zeit und Perspektive verankert. Zur vermittelnden Auseinandersetzung mit Film und Holocaust gehört auch bereits die Auswahl der Filme und hier sollte bei den Überlegungen „Was möchte ich zeigen?“, „Was damit erzählen?“ auch die oben genannte zeitliche Perspektive bedacht werden.
Im Vergleich zu der großen Menge an möglichen Filmtiteln mit denen man arbeiten könnte, sind hier nur wenige Beispiele genannt. Es ist nicht zwangsläufig eine Empfehlung, die hier erwähnten Filme auch in der Vermittlungsarbeit einzusetzen, sie sollen in erster Linie eine Auseinandersetzung mit dem Thema veranschaulichen. Die tatsächliche Filmauswahl für die Arbeit in der Praxis darf sich durchaus an den jeweiligen aktuellen Werken orientieren und, um mit Bergala (2006) zu sprechen, auch mit den persönlichen Vorlieben und dem Geschmack dessen, der vermittelt, um eine bestmögliche Weitergabe von Erfahrung und Wissen zu ermöglichen. (Henzler 2009, 17)
2. Ringen um die Kraft der Bilder
Die Frage, mit welcher Ästhetik die industrielle Ermordung der jüdischen Bevölkerung und anderer Gruppen während des Nationalsozialismus gezeigt werden darf/kann/soll, stellt sich mit den ersten Bilddokumenten und Verfilmungen zu diesem Thema. Beispiele des ersten Umgangs mit diesen Bildern machen das Ringen darum, das Unsagbare sagbar zu machen und die unterschiedlichen Zugänge dazu, deutlich. Bereits 1945 entstehen, unter Beauftragung der US-Armee, filmische Dokumente, die zur re-education in Deutschland eingesetzt werden sollten, zum Beispiel unter Mitarbeit von Billy Wilder, „Die Todesmühlen“ (1945). Dazu bedient man sich der Aufnahmen, die von alliierten Kameraleuten im Zuge der Befreiung der Konzentrationslager erstellt wurden(21). Man baut auf die Kraft der Bilder, um das Grauen zu verdeutlichen. Diese sind allerdings wie Volker Schlöndorf meint, zu unvorstellbar, um etwas auszusagen, was man verstehen kann. (Schlöndorf 2010)
Erst zehn Jahre später entsteht der erste aufsehenerregende Dokumentar(lm „Nacht und Nebel“ (1955) von Alain Resnais. Zum einen bedient er sich in seinem Film der oben genannten Archivaufnahmen, zum anderen setzt er, mit zu diesem Zeitpunkt aktuell gedrehten Bildern(22) in Farbe, einen Kontrapunkt und schafft eine gewisse Distanz, die Vorstellungskraft zulässt. Resnais möchte die Zuschauer nicht schockieren, sondern verstören, wachrütteln und neugierig machen (Corell 2006, 19). So bildet eine langsame Kamerafahrt entlang des Lagerzauns einen Rahmen, der ins Geschehen führt und die eigentlichen Dokumente umso stärker wirken lässt. Unterlegt ist der Film mit literarischen Sequenzen von Jean Cayrol in der französischen Fassung und von Paul Celan in der deutschen Fassung. Beide Schriftsteller sind selbst unmittelbare Opfer des Nationalsozialismus.
Claude Lanzmann („Shoah“ 1977–1985) verweigert in seinem mehrstündigen Dokumentarfilm den Einsatz von jeglichem Archivmaterial und setzt auf mündliche Zeugnisse. Er befragt darin Opfer und auch Täter/innen, lässt ihnen Zeit ihre unfassbaren Erinnerungen lebendig zu machen. Ruth Klüger vergleicht diese Striktheit des Bildermachers Claude Lanzmann mit einem alttestamentarischen Bilderverbot (Corell 2006, 19), das sich in jenem bekannten Zitat Lanzmanns ausdrücken lässt:
„Wäre mir ein unbekanntes Dokument in die Hände gefallen, ein Film, der – heimlich, da Filmen streng verboten war – von einem SS Mann gedreht worden wäre, und der gezeigt hätte, wie dreitausend Juden, Männer, Frauen und Kinder, gemeinsam starben, erstickt in einer Gaskammer der Krematorien Auschwitz II – hätte ich so einen Film gefunden, ich hätte ihn nicht nur nicht gezeigt, ich hätte ihn zerstört.“ (Lanzmann zit. nach Gisinger 1998, 473)
Konträr dazu und von Lanzmann auch heftig kritisiert entsteht der weltweite Kassenschlager „Schindlers Liste“ (Steven Spielberg 1993), mit dem die Darstellung des Holocaust, wenn auch beruhend auf einer wahren Geschichte, im fiktionalen und bei geschönten, auf Effekt aufgebauten Bildern, wie dem Film öfter vorgeworfen wurde, angelangt ist. Lanzmann meint, „Spielberg bringe Bilder, wo in ‚Shoah‘ keine waren, und Bilder töten die Imagination“ (Lanzmann 1994). Bei aller Kritik bekommt das Thema mit diesem Hollywoodfilm ungeahnte Aufmerksamkeit, wie etwa Kinopremieren, die zu Staatsakten mit Präsidenten werden und auf Wochen ausverkaufte Kinos. In Österreich zum Beispiel werden Schüler/innen während der Unterrichtszeit zu Gratisbesuchen eingeladen.
Und wie ist es mit dem Lachen? Auch in der komödiantischen Auseinandersetzung ist die Darstellung des Ho-locaust angekommen. Paradebeispiel dafür ist Roberto Benignis „Das Leben ist schön“. Er selbst bezeichnet den Film bei aller Märchenhaftigkeit und leichtfüßigen Darstellungsweise nicht als Komödie, sondern als Tragödie, da die Er-eignisse, die der Film behandelt, ganz einfach einer solchen entsprechen. Die Befürchtung, die Kritiker/innen dieser Art der Auseinandersetzung entgegenbringen, ist eine Banalisierung des Grauens (Stauer 2001, 18). Dem gegenüber steht die Auffassung, dass nirgends besser der Triumph von Leben und Optimismus ausgedrückt wird als hier das Prinzip der Hoffnung also dem Grauen gegenübergestellt wird.
Diese hier kurz angerissenen Beispiele zu den Versuchen den Holocaust darstellbar zu machen und beim Publikum etwas zu bewirken (in irgendeiner Weise haben sie alle diese Intention) zeigen die Schwierigkeit einem solchen Thema gerecht zu werden. Zwei Dinge sind festzuhalten bevor man dazu übergeht, nachzudenken, wie heute Erinnerungskultur im Film aussehen kann, und vor allem was dabei in der Filmvermittlung zu beachten ist.
- Fast alle oben genannten Beispiele haben gemeinsam, dass deren Macher einen mehr oder weniger persönlichen Bezug zum Holocaust haben. Auf jeden Fall enthalten ihre Arbeiten noch historische Nähe zu den Ereignissen und die Verfügbarkeit von Zeitzeugen.
- Das Publikum und die Sehgewohnheiten haben sich bis heute verändert, der persönliche und historische Bezug ist nicht mehr gegeben. Viele der hier genannten bildlichen Darstellungen bedienen sich eines kollektiven Gedächtnisses, aus dem Bilder wachgerufen und Assoziationen geweckt werden können. Oder aber die Bilder dieser Filme sind selbst Teil eines solchen Gedächtnisses geworden.
Die oben genannten Punkte machen die Situation im Gedenkjahr 2018 auch speziell, denn in einer Zeit, in der die Überlebenden, die persönlich berichten können, immer weniger werden und die Gräueltaten in die historische Ferne rücken, stellt sich die Frage, wie Menschen, insbesondere Jugendliche, sich selbst in Bezug zur Erinnerungskultur setzen und wie emotionale Bezüge hergestellt werden können. Wie kann Film aktuell mit diesem Thema umgehen und wie können mit Filmbildern und anschließender Vermittlungsarbeit Jugendliche erreicht und berührt werden?
3. Was soll die Filmvermittlung?
3.1 Grundlagen und Zielsetzung
Wenn Jugendliche ins Kino kommen, um einen Film anzusehen und sich mit dem Holocaust auseinanderzusetzen, tun sie dies selten auf eigenen Wunsch, sondern organisiert durch ihre Pädagoginnen/Pädagogen im Rahmen des Schulunterrichts. Es stellen sich die Fragen, wie kann man sie erreichen und was möchte man bewirken. Schockieren? Dokumentieren? Emotional berühren? Eine Zielsetzung der Gedenkstätte Mauthausen bei der Arbeit mit Schülerinnen/ Schülern ist es, einen Bezug zum eigenen Ich zu finden, ein Aspekt der für die Filmvermittlung übernommen werden kann.(23) Wesentlich für die Filmvermittlung, wie sie hier verstanden wird(24), ist, dass jeder Film offene Stellen lässt, die den Rezipientinnen/Rezipienten die Möglichkeit geben, mit ihren eigenen Seherfahrungen, Emotionen und Erlebnissen einzuhaken.(25) Im Grunde ergibt sich für alle ein individueller Film. Somit birgt das Medium selbst schon die Möglichkeit, eine persönliche Beziehung zum Gesehenen einzugehen. Aufgabe der Vermittlung ist es, diesen Umstand zu respektieren und eine Haltung des gleichberechtigten Dialoges in der didaktischen Arbeit einzunehmen. Hinzu kommt eine weitere Perspektive, die es zu hinterfragen gilt: die Erzählperspektive und damit die Intention des Werkes. Formale Auseinandersetzung mit den Filmbildern, wie beispielsweise ein Hinterfragen der verwendeten Montagetechnik oder Analyse verschiedener Einstellungen gehören dazu. Das Spannungsfeld zwischen eigenem Filmerleben und Werk eröffnet nicht nur eine Reflexionsebene zum Medium Film, sondern ermöglicht auch eine differenzierte Wahrnehmung und verschiedene Perspektiven zur erzählten Geschichte. Für ein Gespräch zum gesehenen Film ergeben sich drei Ebenen, an die sich anknüpfen lässt und die gegenseitig durchlässig sind:
- Die inhaltliche Ebene: Was wird erzählt?
- Die formale Ebene: Wie wird es erzählt?
- Die persönliche Ebene: Wie wird das Gesehene erlebt? Daran knüpft die Frage an: Was hat das mit mir zu tun?
3.2 Didaktische Möglichkeiten – Ins Gespräch bringen
Die Grundhaltung der Vermittlung zum Film ist also der Dialog, der herkömmliche lineare Wissensvermittlung von einer allwissenden Autorität zu passiven Zuhörerinnen/Zuhörern hin aufhebt und in dessen Zentrum der Prozess der Wahrnehmung steht, bei dem alle, auch die Vermittler/innen, gleichwertige Rezipientinnen/Rezipienten sind. (Henzler 2009, 26) Dies schließt nicht aus, dass Hintergrundwissen mit einfließt. Wesentliche Aufgabe der Vermittlung ist, Perspektiven zu öffnen und ins Gespräch zu führen. An dieser Stelle seien nur ein paar Möglichkeiten genannt, wie Anreize zu einer tatsächlichen dialogischen Auseinandersetzung geboten werden können. Konkrete Beispiele dazu im fachdidaktischen Teil.
- Filmauswahl: Hier gibt es nicht nur zahlreiche Möglichkeiten, in Bezug auf die Filmauswahl, sondern auch die Möglichkeit mit Filmausschnitten zu arbeiten, um unterschiedliche Zugänge aufzuzeigen. Beispielsweise könnten Ausschnitte aus den oben erwähnten Filmen gezeigt werden, wenn man mit Schülerinnen/Schülern überlegen möchte, welche Versuche es gibt, die schrecklichen Ereignisse des Holocaust in Filmbilder zu fassen.
- Ergänzend zum ganzen Film oder einzelnen Sequenzen kann mit Standbildern aus dem Film gearbeitet werden. Diese erlauben, sich für den Bildaufbau und Details Zeit zu nehmen. Die formale Analyse dient nicht nur zur Reflexion des Mediums, sondern kann gleichzeitig neue Perspektiven auf den Inhalt eröffnen.
- Ein wichtiger Aspekt ist es, Überlegungen anzustoßen und so individuelle Fragen der Rezipientinnen/Rezipienten entstehen zu lassen. Es können schon vor dem Film kleine Sehaufgaben vergeben werden auf die es zu achten gilt. Beispielsweise soll genau beobachtet werden, wie ein einzelner Protagonist dargestellt wird oder wie bestimmte Gefühle erzählt werden.
3.3 Aktuelles Filmbeispiel: MURER – ANATOMIE EINES PROZESSES von Christian Frosch 2018
Das hier genannte Beispiel ist erst kürzlich in die österreichischen Kinos gekommen und es wäre möglich, den Film mit Schülerinnen/Schülern im Kino anzusehen. Hier dient der Film zur Veranschaulichung zu im Text bereits Gesagtem und schließt somit auch eine inhaltliche Klammer.
Der Film basiert auf realen historischen Ereignissen. Kurz zum Inhalt: Graz 1963. Wegen Kriegsverbrechen steht der angesehene Lokalpolitiker und Großbauer Franz Murer, 1941–43 für das Ghetto von Vilnius in Litauen verantwortlich, vor Gericht. Überlebende des Massenmordes reisen an, um auszusagen und Gerechtigkeit zu erwirken. Basierend auf den originalen Gerichtsprotokollen wird von einem der größten Justizskandale der Zweiten Republik erzählt – und von politischer Strategie jenseits moralischer Werte.
Zu beachten sind die unterschiedlichen Zeitebenen. Aus heutiger Perspektive wird der Gerichtsprozess von 1963 betrachtet und die Ereignisse historisch möglichst genau wiedergegeben. Daher erzählt der Film zunächst über den Umgang mit Erinnerung und vor allem über den Umgang mit Schuld in dieser Zeit (1963). Gleichzeitig werden in Form von Zeitzeugenberichten die Ereignisse im Ghetto von Vilnius (1941–43), die Morde, derer Murer beschuldigt wird, erzählt und durch die emotionale, lebendige Erzählweise für die Zuschauer/innen vorstellbar gemacht. Der Film spielt fast ausschließlich im Gerichtssaal, es werden also keine Bilder aus dem Ghetto oder Erinnerungssequenzen explizit dargestellt. Das bleibt sozusagen der Vorstellungskraft überlassen. Die Inszenierung hier ist der Form des Gerichtsfilms geschuldet, dennoch sei an „Shoah“ von Lanzmann erinnert, der im Dokumentarfilm auf mündliche Zeugnisse setzt. Christian Frosch meint auch für die Aufarbeitung des Murer Prozesses sei ein Dokumentarfilm ursprünglich denkbar gewesen, mangels lebender Zeugen und fehlendem Bildmaterial, habe man davon wieder abgesehen. (Hirn 2017, 20)
Der Holocaust wird in Momentaufnahmen durch die Zeugenberichte rund um die Verbrechen in Vilnius thematisiert, die wie Puzzleteile auf ein großes Ganzes, den Völkermord, hinweisen. Darüber hinaus hinterfragt Christian Frosch mit seinem Film nicht nur die Rolle Murers im historischen Kontext, sondern auch die von politischen Parteien und Medien in diesem Prozess. Anhand dieses historischen Beispiels wird das Verhältnis von Täterinnen/Tätern und Opfern nachgezeichnet und gezeigt, wie Opfer erneut zu solchen werden, wenn die Schuld der Täter/innen nicht anerkannt wird.
An die oben erwähnten drei Ebenen lässt sich ein Gespräch nach dem Film anknüpfen. Dazu konkrete Beispiele anhand des Films:
- Die inhaltliche Ebene: Dies wären die Ereignisse im Ghetto Vilnius einerseits und andererseits der Murer- Prozess.
- Beispiel für eine Aufgabe: Rechercheaufgabe: Was ist ein Ghetto? Was kann man über das Ghetto in Vlinius zwischen 1941–1945 herausfinden? Oder: Wer war Simon Wiesenthal und was hatte er mit dem Murerprozess zu tun?
- Die formale Ebene: Hier könnte man thematisieren, wie der Film inszeniert ist. In welcher Form erfährt man über die Ereignisse? Wie ist die Kameraarbeit? Wird Musik eingesetzt?
Beispiel für eine Aufgabe: Wie wird Murer ins Bild gesetzt? Wie die Zeugen/Opfer? - Die persönliche Ebene: An dieser Stelle lässt sich einerseits an die inhaltliche Ebene anknüpfen mit der Frage: Welche Relevanz haben die dargestellten Ereignisse in heutiger Zeit? Anderseits geht es auch um persönliche und emotionale Bezüge.
Beispiele für Aufgaben: Welche Täter- und Opferrollen gibt es heute? Wie werden diese in den Medien dargestellt? Dies kann eine Überlegung sein, aber auch eine konkrete Rechercheaufgabe. Welche Szene im Film ist besonders in Erinnerung? Welche Emotionen sind damit verbunden?
Abschließend noch ein Zitat von Christian Frosch über seinen Film, das auch eine wesentliche Aussage der hier angestellten Überlegungen zur Erinnerungsarbeit anhand von Spielfilmen unterstreicht: nämlich dass Erinnerung immer mit der Gegenwart zusammentrifft, einerseits weil sie aus einer heutigen aktuellen Perspektive betrachtet wird, andererseits weil sich in Geschichte(n) auch immer persönliche Bezüge und Anker wiederfinden lassen. „Es wäre mir lieber, wenn man das Gefühl hätte, das ist weite Vergangenheit und sich fragen kann: Was hat das mit uns zu tun? Ich finde es erschreckend, dass die erste Reaktion auf den Film meist ist, dass er so aktuell sei – und er eigentlich ja strikt historisch ist.“ (Frosch zitiert nach Mazohl 2018)
LITERATUR
Bergala, Alain (2006). Kino als Kunst. Filmvermittlung in Schule und anderswo. Marburg: Schüren.
Corell, Catrin (2006). Der Holocaust als Herausforderung für den Film. Zugriff am 18. Mai 2018 unter www.transcript-verlag.de.
Der Spiegel (Hrsg.) (1994). Grenze für Greuel: 11/1994. Zugriff am 18. Mai 2018 unter www.spiegel.de/spiegel/print/d-13686148.html.
Henzler, Bettina & Pauleit, Winfried (Hrsg.) (2009). Filme sehen Kino verstehen. Methoden der Filmvermittlung. Marburg: Schüren.
Hirn, Lisz (2018). Murer. Anatomie eines Prozesses. Schulmaterial zum Film von Christian Frosch. Zugriff am 18. Mai 2018 unter www.kinomachtschule.at/data/murer.pdf.
Jüdisches Museum Wien (Hrsg.), Heimann-Jelinek, Felicitas (Red.) (o.J.). Katalog des Jüdischen Museum Wien. Wien: Eigenverlag.
Lanzmann, Claude (2013). Zwei jüdische Angsthasen, die Filme machen. In: Zeit online. Zugriff am 18. Mai 2018 unter www.zeit.de/2013/46/regisseur-claude-lanzmann/seite-3.
Mazohl, Michael (2018). Obduktion eines Schlächters. In: thegap. Österreichischer Film, Ausgabe April/Mai 2018.
INTERNETQUELLEN
Schlöndorff, Volker (2005). Nacht und Nebel. Zugriff am 18. Mai 2018 unter www.bpb.de/gesellschaft/bildung/filmbildung/filmkanon/43569/nacht-und-nebel
Stauer, Ute (2001). Das Leben ist schön. Roberto Benigni 1998. Film-Heft. Zugriff am 18. Mai 2018 unter http://www.film-kultur.de/filme/filmhefte/das_leben_ist_schoen.pdf
LINKS
https://www.kinoimkesselhaus.at/de/schulen (Zugriff am 17. September 2018)
www.mauthausen-memorial.org (Zugriff am 17. September 2018)