Die Geschichte mit der Kunst. Zur Verschränkung und Vermittlung von Zeitgeschichte und Kunst im öffentlichen Raum am Beispiel des Museums ERLAUF ERINNERT und dem Mahnmal Friedenskreuz St. Lorenz und Lunz am See


Johanna Zechner

Im Sommer 2002 prägte eine gleichsam unauffällige wie auch irritierende Kunstaktion das Ortsbild von Erlauf im Mostviertel. Drei Straßentafeln und mit ihnen auch eine Reihe von Hausnummernschildern hießen für den Zeitraum von einigen Monaten nach vertriebenen und ermordeten jüdischen Familien und einem Widerstandskämpfer aus dem Ort. Die Niederdorferstraße etwa wurde temporär zur „Familie Brod Straße“, die Molkereistraße zur „Familie Weiner Straße“ und der Marktplatz zum „Josef Munk Platz“. Der Künstler Werner Kaligofsky hatte im Rahmen der von Hedwig Saxenhuber kuratierten Ausstellung im öffentlichen Raum von Erlauf („Erlauf erinnert sich…“(31)) (Saxenhuber, 2005) nach ausführlichen Archivrecherchen die Namen und damit auch die Biografien jener Menschen ins Dorf zurückgebracht, die aus rassistischen oder politischen Gründen von den Nationalsozialisten enteignet, verfolgt, eingesperrt und umgebracht wurden.

Die Intervention des österreichischen Künstlers ist eines mehrerer Beispiele von Kunstprojekten im öffentlichen Raum in Niederösterreich, die in den vergangenen drei Jahrzehnten nicht nur einer Funktion als Mahn- oder Denkmal nachgekommen sind, sondern vielmehr die komplex verwobenen Schichten von kollektiver nationaler und regionaler sowie individueller Erinnerungskultur freigelegt und diese als solche zum Gegenstand der Reflexion gemacht haben.(32) Dieser Beitrag vereint Beispiele aus Erlauf im Mostviertel wo 2015 das Museum ERLAUF ERINNERT eröffnet hat und eines aus der Gemeinde Rossatz/St. Lorenz in der Wachau. An diesen beiden Orten wird an ursprünglich sehr unterschiedliche Ereignisse erinnert, die Entwicklung und die Ergebnisse der jeweiligen Erinnerungskultur sind sehr verschieden und doch gleichen sich beide Standorte aktuell durch den Versuch der Verschränkung von zeithistorischer Forschung/Vermittlung und zeitgenössischer Kunst im öffentlichen Raum, sowie in der konkreten Vermittlungsarbeit mit Jugendlichen.

 

1. ERLAUF ERINNERT

In der ca. 1000 Einwohner/innen beherbergenden Gemeinde Erlauf bildeten seit den 1990er-Jahren zahlreiche Kunstprojekte, allen voran die Friedensdenkmäler von Jenny Holzer und Oleg Komov, aber auch temporäre und teilweise historisch orientierte und partizipative Projekte von Künstlerinnen/Künstlern den Boden für eine fortwährende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit von Krieg und Nationalsozialismus.

Die historische Besonderheit der Ortschaft an der Bundestraße 1: In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1945 trafen sich in Erlauf der sowjetische General Dmitri Dritschkin und der US-amerikanische General Stanley Reinhart und feierten gemeinsam den um 00:01 Uhr in Kraft tretenden Waffenstillstand. Die historische Bedeutung des Ortes ist zwar durch den Moment des symbolischen Friedensschlusses zwischen den alliierten Generälen im Mai 1945 definiert, aus alltagshistorischer Sicht steht Erlauf jedoch für einen typischen niederösterreichischen Ort, anhand dessen die Geschichte von Krieg und Besatzungszeit erzählt werden kann. Darüber hinaus wurde vom oben genannten historischen Ereignis ausgehend eine spezifische Tradition entwickelt, die von verschiedenen Formen des Gedenkens bis hin zur Selbstidentifikation als „Friedensgemeinde“ reicht. Dabei spielte (bis heute) immer wieder die zeitgenössische Kunst eine wesentliche Rolle.

Abb. 31 Schauwand im Museum ERLAUF ERINNERT.

Abb. 32 Blick in das Museum ERLAUF ERINNERT.

Ein eigenes Museum bietet in Erlauf seit drei Jahren die Darstellung der ortsspezifischen Geschichte während und nach dem Zweiten Weltkrieg und öffnet gleichzeitig einen neuen Zugang des Gedenkens an den Zweiten Weltkrieg, in dem es die spezielle Verbindung von Zeitgeschichte und zeitgenössischer Kunst, sowie Fragen des Erinnerns an die Zeit des Nationalsozialismus in den Mittelpunkt rückt. So macht das Museum ERLAUF ERINNERT etwa neben der fotografischen Dokumentation der temporären Aktion von Werner Kaligofsky auch die historische Aufarbeitung der Biografien ausgewählter jüdischer Bürger/innen und des Widerstandskämpfers Josef Munk präsent – beispielhaft für die Verfolgung und den politischen Widerstand gegen die Nationalsozialisten in der Region. Insgesamt wurden im Rahmen der Kunstaktion im Jahr 2002 mit der Unterstützung des damaligen Bürgermeisters Franz Kuttner und des Gemeinderats neun Straßenschilder ausgetauscht. Für die Umbenennung der Hausnummerntafeln wurde die Erlaufer Bevölkerung befragt. Von den 23 geplanten neuen Hausnummernschildern sind schließlich 20 installiert worden, drei der Umbenennungen wurden von Erlaufer Bürgerinnen und Bürgern abgelehnt. Die Ergebnisse der Recherche und Archivarbeit von Werner Kaligofsky waren während der Laufzeit des Projekts im Schaufenster des ehemaligen Warenhauses der vertriebenen Familie Brod ausgestellt.

Den Erzählungen Erlaufer Bürger/innen zur Folge, stieß das Projekt, das vor allem die drei vertrieben jüdischen Familien aus Erlauf seit 1938 erstmals wieder an die Öffentlichkeit brachte und damit in die kollektive Erinnerung zurückzubringen versuchte, bei Teilen der Erlaufer Bevölkerung auf Unverständnis und Widerstand. Während sich zahlreiche ältere Menschen noch an die jüdischen Kaufmannsfamilien Brod und Weiner erinnerten und in den Erzählungen auch in der Arbeit zum Museum ERLAUF ERINNERT zehn Jahre danach stets ihr gutes Verhältnis zu den jüdischen Mitgliedern der Dorfgemeinschaft betonten, galt der Sozialdemokrat und später kommunistische Gemeinderat Josef Munk, der sich während des Krieges den Partisanen angeschlossen hatte, als Persona non grata in der Dorfgemeinschaft. Er habe „sich gegen die eigenen Leute gewandt“ (Neuwirth 2014)(33) so Zeitzeuginnen/Zeitzeugen, und nach dem Krieg mit den sowjetischen Besatzern zusammengearbeitet.

Die Arbeit von Werner Kaligofsky und ihre Rezeption reiht sich in eine Erlaufer Tradition ein: 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa, das der sowjetische General Dritschkin und der amerikanische Generals Reinhart in der Nacht von 8. auf 9. Mai 1945 mehr oder weniger zufällig in Erlauf gefeiert hatten, wurden im Zentrum des Ortes zwei außergewöhnliche Denkmäler errichtet. Mit dem Mahnmal von Jenny Holzer und dem Denkmal von Oleg Komov wurden die Erlaufer/innen mit zwei sehr unterschiedlichen Kunstwerken mit neuen Perspektiven auf Krieg, Gewalt, Helden- und Opferbildern konfrontiert. Die Geschichte der Realisierung der Denkmäler zur Erinnerung an den Krieg ist aber ebenfalls eine konfliktreiche. Das zeigte sich zum Beispiel rund um die Entstehung des Denkmals von Oleg Komov. Der russische Künstler, dem bei seinen Aufenthalten vor Ort einige junge Erlauferinnen Modell standen, musste bei der Realisierung seiner Skulpturengruppe aus erinnerungspolitischen Gründen Änderungen vornehmen. Nach der Präsentation des Modells seiner Skulptur im Winter 1991 war es zu Protesten aus der Erlaufer Bevölkerung gekommen, die sich durch die Darstellung einer jungen Frau zwischen zwei Soldaten an sexuelle Übergriffe der sowjetischen Besatzer erinnert fühlten. Komov reagierte darauf, indem er die verbindende Figur der jungen Frau durch ein Kind ersetzte. Auseinandersetzungen wie diese oder jene um Werner Kaligofskys temporäre Straßenumbenennung zeichnen ein diffiziles Bild von Vergangenheitsbewältigung, wie auch eine Vielzahl von aufgearbeiteten Konflikten und zeigen welche Rolle die Kunstwerke dabei gespielt haben.

Die Errichtung der Friedensdenkmäler und die Auseinandersetzung damit boten Erlauf und seinen engagierten Bürger/innen aber auch eine mögliche Form der Selbstidentifikation. Diese brachte eine sehr spezielle Form der regionalen und kollektiven Erinnerungskultur hervor, deren Zeichen bis heute, neben dem Museum, die jährlichen Friedenstage im Mai sind. In diesem Rahmen fanden zahlreiche, teilweise schon genannte, Kunstprojekte im öffentlichen Raum statt, dabei recherchierten und sicherten Künstler/innen in Erlauf auch immer wieder neue historische Quellenbestände, auf deren Basis sie ihre künstlerischen Arbeiten verwirklichten. Als Beispiele seien hier die Kunstprojekte von Pia Lanzinger (2000), Roman Ondák (2002), Tatiana Lecomte (2015) und Heidi Schatzl (2017/2018) genannt.

Im Zuge der Arbeit an ihrem Kunstprojekt „Then Hitler invaded Austria. Vertreibung in die Sehnsucht“, das Tatiana Lecomte anlässlich der Eröffnung des Museums ERLAUF ERINNERT im Mai 2015 schuf, stellte die Künstlerin auf Basis der von den Museumskuratorinnen/-kuratoren übergebenen Informationen den Kontakt zu Daniel Einstein, dem in den USA lebenden Großneffen Frank Schanzers und zu Charlotte El Shabrawy, der Tochter von Ernst. F. Brod her. Beide Männer – Brod stammte aus Erlauf, Schanzer aus Pöchlarn – mussten Österreich aufgrund ihrer jüdischen Herkunft verlassen. Beide verloren ihre in der Region verbliebenen Familien durch den Holocaust. Lecomte, die die „Sehnsucht“ in der Emigration zum Ausgangspunkt der ausführlichen Auseinandersetzung mit den Biografien der beiden Protagonisten machte, produzierte ein künstlerisches Büchlein, das zur freien Entnahme im Museum auflag. Die Künstlerin intensivierte damit ein zentrales Narrativ der Dauerausstellung von ERLAUF ERINNERT und schuf gleichzeitig ein Objekt, das auch „aus dem Museum hinausgetragen“ werden konnte (Lecomte 2015). Zusätzlich gelang es durch Lecomtes Kontakt zu Schanzers Großneffen Daniel Einstein eine Reihe interessanter Fotos und Objekte in der historischen Dauerausstellung zu zeigen.

Abb. 33 Doppelseite aus dem Kunstbuch von Tatiana Lecomte, das auf einer Doppelseite

das Ehepaar Charlotte und Ernst Brod in den Jahren 1940 (Hochzeitsfoto, Istanbul)

und 1977 (zu Hause in Kalifornien) zeigt.

Ähnliches gelang zwei Jahre später der Künstlerin Heidi Schatzl in ihrer Auseinandersetzung mit den lebensgeschichtlichen Aufzeichnungen von Ernst F. Brod. Mit der Arbeit „THE EXAMINED LIFE / DAS GEPRÜFTE LEBEN“ hat Heidi Schatzl das 2000 Seiten umfassende Manuskript, das Ernst F. Brod (1901–1978) in den 1970er-Jahren retrospektiv über sein Leben verfasst hat, zu einer Rauminstallation verdichtet und damit die Perspektive und das Narrativ des emigrierten Kaufmannssohns und späteren Bauingenieurs, der sein Leben unter anderem in Paris, Ankara und Berkeley verbracht hat, wieder nach Erlauf zurückgebracht. Neben ausgewählten Manuskriptseiten Brods präsentierte Schatzl zahlreiche Fotos von Erlaufer Familien, die Brod in seinen Aufzeichnungen in unterschiedlichen Kontexten beschreibt und die die Künstlerin vor Ort recherchiert hat. (Schatzl 2018)

War es weder für Ernst Brod, noch für Frank Schanzer zu Lebzeiten möglich ihre Heimatorte jemals wieder zu besuchen, gelang es im Rahmen der Museumseröffnung, sowie auch teilweise in den Folgejahren die Nachfahren der vertriebenen Familien Brod und Schanzer, sowie auch die Familie von General Dritschkin nach Erlauf und Pöchlarn einzuladen. Die für die Nachfahren oftmals emotional aufgeladenen Begegnungen mit den ehemaligen Heimat- und Einsatzorten der Väter, Onkel und Großväter ermöglichten den Bewohnerinnen/Bewohnern, Museumsmacherinnen/- machern und Künstlerinnen/Künstlern den Einblick in bisher unbekannte Perspektiven auf die erinnerte Vergangenheit. Die erzählten Geschichten, übergebenen Fotos und Dokumente füllten einen kleinen Teil der großen Lücke der Überlieferungen jener, die bisher keine Möglichkeit bekommen haben ihre Geschichte zu erzählen bzw. jener die nie eine bekommen werden, weil sie vertrieben und nie gehört oder von den Nationalsozialisten ermordet wurden.

In den Vermittlungsprojekten mit Jugendlichen, die das Museum seit der Aufbauphase begleiten, wird den Schülerinnen/ Schülern auch stets der Zugang zu Originaldokumenten aus der Museumssammlung ermöglicht. So bietet etwa die Auseinandersetzung mit einem Stammbucheintrag einer jüdischen Mitschülerin, die kurz nach dem Eintrag vertrieben und wenig später umgebracht wurde, einen sehr persönlichen Zugang zu historischen Vorgängen zur Zeit des Nationalsozialismus. Aber auch die Perspektiven der Kunst, deren Öffentlichkeit und deren partizipative Ansätze, prägen das Museum in der Vermittlungsarbeit. Anhand des Umgangs mit den zeitgenössischen Kunstwerken werden Positionen der Öffentlichkeit mit ihrer Geschichte ständig neu verhandelt. Künstlerische Herangehensweisen werden in der Vermittlungsarbeit mit Jugendlichen ebenso wie jene der historischen Forschung zentral nahe gebracht.

 

2. Mahnmal Friedenskreuz St. Lorenz

Abb. 34 Friedenskreuz Sankt Lorenz

Abb. 35 Beispiel für eine Schüler/innencollage

Knapp 30 Kilometer von Erlauf entfernt, die Donau ostwärts steht in den Wäldern oberhalb der Ortschaft St. Lorenz in der Wachau das „Mahnmal Friedenskreuz St. Lorenz“. Direkt an einem beliebten Aussichtsplatz, an dem seit einigen Jahren der touristische „Welterbesteig“ vorbeiführt, verbirgt die konzeptuelle Arbeit des Künstlers Martin Krenn dort seit 2016 auf subtile Weise das sogenannte „Friedenskreuz St. Lorenz“, das in den 1960er-Jahren auf Initiative von ehemaligen Mitgliedern der „Kampfgruppe Jokisch“ vom Ortsverband Weißenkirchen des Österreichischen Kameradschaftbundes (ÖKB) errichtet wurde. Das Denkmal, in der Nachkriegszeit mit Zustimmung und Unterstützung der Gemeinde Rossatz-Ansdorf aufgebaut, reiht sich in eine lange Tradition österreichischen Erinnerns ein. Nach einer ersten kurzen Phase des antifaschistischen Gedenkens, das vor allem durch die KZ-Opferverbände vorangetrieben wurde, war die nationale und regionale Erinnerungskultur ab den 1950er-Jahren vom Mythos Österreichs als erstem Opfer des Hitler-Regimes geprägt und ist in die vorherrschende Geschichtskultur des „Heldengedenkens“ übergegangen. (Perz 2005) Diese Kultur zeigt sich auch heute noch in der Häufigkeit und Gleichförmigkeit der Kriegerdenkmäler in fast jeder Ortschaft im ländlichen Raum. Die historischen Taten jener Helden blieben auf nationaler Ebene bis in die späten 1980er-Jahre weitgehend unhinterfragt. Erst mit der Waldheimdebatte und dem Gedenkjahr 1988 sowie der Arbeit einer neuen Generation zeithistorischer Forscher/innen zu den Verbrechen des Nationalsozialismus änderte sich der öffentliche Diskurs. Das Beispiel des „Friedenskreuz St. Lorenz“, das der „Kampfgruppe Jockisch“ gewidmet ist, zeigt, dass die Aufarbeitung bis in die Gegenwart hineinreicht. Nachdem der Ort in jüngster Zeit zunehmend von Kameradschaftsverbänden vereinnahmt wurde und mit ideologisch aufgeladenen Attributen wie einem Wehrmachtshelm und einem Lorbeerkranz ergänzt wurde, entstand der Wunsch nach einer künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Platz. Den dafür ausgeschriebenen Wettbewerb zur Neugestaltung gewann der Künstler Martin Krenn. Sein konzeptuelles „Mahnmal Friedenskreuz St. Lorenz“ besteht aus zwei Teilen: einem einen halben Meter vor dem Kreuz vorgehängten Metallgewebe, auf dem eine politische Fotomontage John Heartfields aus dem Jahr 1933 abgebildet ist und fünf Collagen von Schülerinnen/Schülern, die in Zusammenarbeit mit dem Künstler und mit dem Historiker Gregor Kremser erarbeitet und rund um das Kreuz installiert wurden. Die über die Jahre am Kreuz angesammelten Devotionalien blieben hinter dem Gewebe vorhanden und sind je nach Perspektive der Betrachtenden verborgen oder noch immer sichtbar. Die von Martin Krenn gewählte Fotomontage „Deutsche Eicheln 1933“ von John Heartfield verweist darauf, dass sich Heartfield bereits im Jahr der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland mittels der Symbolik der „Deutschen Eiche“ über die Selbstverherrlichung der Nationalsozialisten mokierte. Die Montage, die Heartfield für die Rückseite der Berliner Zeitschrift „Arbeiter Illustrierten Zeitung“ (AIZ 1933, Vol. 12, No. 37) gestaltete, zeigt einen kleinwüchsigen Hitler, der eine Eiche gießt.

Die Installation als Ganzes ist als Aufforderung zu verstehen, sich mit dem Ort und mit seinen geschichtlichen Bedingungen auseinanderzusetzen. Martin Krenn hat das ‚Friedenskreuz St. Lorenz‘ mit Heartfields Zitat kontextualisiert und zu einem Mahnmal erweitert, das ein Zeichen gegen Kriegsverherrlichung und Faschismus setzt. Gleichzeitig ist es auch eine Hommage an die Zivilcourage an sich.“ (Offergeld 2016, 113)

Parallel zur künstlerischen Gestaltung machten es sich die Historiker Gregor Kremser und Robert Streibel zur Aufgabe, zu jener Einheit der Deutschen Wehrmacht zu forschen, die mit dem Kreuz geehrt wurde. Ihre Recherchen ergaben, dass die „Kampfgruppe Jockisch“, benannt nach dem Kommandanten Bernhard Jockisch Teil der 187. Reservedivision war, die im heutigen Kroatien, Bosnien und Herzegowina und in Weißrussland eingesetzt wurde. Nachdem die Reservedivision zu Beginn des Krieges hauptsächlich Rekruten ausbildete, zeigen die Quellen ab 1943 ein anderes Bild. Im Zuge von Kampfhandlungen mit Partisanen auf dem heutigen Gebiet von Kroatien und Bosnien und Herzegowina wurden als sogenannte „Sühnemaßnahmen“ ganze Ortschaften niedergebrannt, Geiseln genommen und Zivilisten ermordet. Zwei Monate nach der Eröffnung des Mahnmals erschien dazu eine umfangreiche Publikation (Wachau Dunkelsteinerwald Regionalentwicklung 2016). Vor Ort gibt eine Informationstafel Interessierten Auskunft über Kunst und historische Hintergründe des Mahnmals.

Die gänzlich unterschiedliche Genese und Hintergrund der beschriebenen Projekte zeigt die Vielschichtigkeit und Zusammenhänge und gibt Auskunft über den jeweils vorherrschenden regionalen, zeitlichen und gesellschaftspolitischen Erinnerungsdiskurs. In beiden Fällen half jedoch die Kunst Wissens- und Erinnerungslücken zu schließen bzw. zu füllen und einen Gedankenaustausch zu eröffnen.

 

3. Mahnmal in Lunz am See

Abschließend möchte ich dazu noch ein weiteres aktuelles Projekt anführen, bei dem die Wechselwirkung zwischen zeitgenössischer Kunst und historischer Forschung abermals deutlich wird. 2016 hat das interuniversitäre Zentrum für die Erforschung von Gewässern in Lunz am See – des WasserClusters Lunz – in Absprache mit der Gemeinde Lunz bei der Abteilung Kunst und Kultur/ Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich ein Projekt für ein Mahnmal angestoßen. Im Rahmen des darauf ausgeschriebenen künstlerischen Wettbewerbs sollten die geladenen Künstler/ innen Entwürfe für ein Mahnmal entwickeln, das die Verbrechen in der Endphase des zweiten Weltkriegs auf dem Gebiet des heutigen Wasserclusters sowie in Lunz und der Region thematisiert. Ausgangspunkt war dabei vor allem, dass das Gebäude und Areal des heutigen Forschungszentrums am Südufer des Lunzer Sees zur NS-Zeit als „Gaujugendheim“ bzw. später als Wehrertüchtigungslagers der Hitlerjugend genutzt wurde. In demselben Gebäude wurde außerdem in der Nacht von 8. auf 9. Mai 1945 der Lunzer Bürger Rudolf Obendorfer durch Angehörige der Lagerleitung des Wehrertüchtigungslagers ermordet. Zum Zeitpunkt der Wettbewerbsausschreibung wurde in unterschiedlichen Publikationen und Erzählungen von weiteren Verbrechen berichtet, wie etwa der angeblichen Ermordung von mehreren HJ-Jugendlichen in Lunz am See in den letzten Wochen vor Kriegsende oder der Beteiligung von Hitlerjungen des Wehrertüchtigungslagers Lunz am See an den Massakern an rund 200 ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiterinnen/ Zwangsarbeitern in Göstling, Randegg und Gresten. Die Entwürfe der Künstler/innen für ein Mahnmal in Lunz, die dem Gutachtergremium vorgelegt wurden waren allesamt von hoher künstlerischer Qualität, offenbarten jedoch ein gravierendes Problem der Ausgangslage: Die Künstler/innen orientierten sich an unterschiedlichen Aspekten und der dazu vorliegenden Literatur zu den beschriebenen Verbrechen. So setzte etwa die für die Realisierung des Mahnmals favorisierte Künstlerin eine bisher nicht näher definierte KFZ-Versuchsstelle der Wehrmacht oder der Waffen-SS, das sogenannten „Grünloch“ oberhalb von Lunz ins Zentrum ihrer künstlerischen Narrative. Ob ein Zusammenhang mit den Vorgängen rund um das Wehrertüchtigungslager existierte, war aufgrund der schlechten Forschungslage nicht nachzuvollziehen. Die historischen Unsicherheiten und die Erkenntnis, dass auf Basis der nur mangelhaft bis gar nicht wissenschaftlich aufgearbeiteten Geschichte von Lunz am See zur NS-Zeit kein Mahnmal realisiert werden konnte, führten zur Beauftragung einer historischen Studie, die im Februar 2018 vom Zeithistoriker Christian Rabl fertiggestellt wurde.(34) Diese gibt Klarheit über die tatsächliche Quellenlage, schließt einige Ereignisse, wie beispielsweise das Gerücht über die Ermordung dreier Jugendlicher im Wald oberhalb des WasserClusters aufgrund mangelnder Beweise aus, und verweist wiederum auf weitere Untaten und Zusammenhänge zur Zeit des Nationalsozialismus in Lunz. Das durch die historische Aufbereitung zwar zeitlich verzögerte Mahnmal kann nun hoffentlich in naher Zukunft vor dem Hintergrund aktueller Forschung und mit dem Willen aller Beteiligten, sozusagen „auf sicherem Fundament“ realisiert werden.

 

LITERATUR

Lecomte, Tatiana (2015). Then Hitler invaded Austria. Vertreibung in die Sehnsucht. Im Auftrag des Amts der NÖ Landesregierung, Abteilung Kunst und Kultur. Temporäres Kunstprojekt.

Neuwirth, Manfred (2014). Zeitzeugengespräche / Österreich. Im Auftrag der Abteilung Kunst und Kultur, Land Niederösterreich für das Museum ERLAUF ERINNERT.

Offergeld, Cornelia (2016). Mahnmal Friedenskreuz St. Lorenz. In: Wachau Dunkelsteinerwald Regionalentwicklung und Amt der NÖ Landesregierung/ Abteilung Kunst und Kultur (Hrsg.) Mahnmal Friedenskreuz St. Lorenz. Über die Verwicklung Wachauer Bürger im Partinsanenkrieg im Zweiten Weltkrieg. Innsbruck, Wien, Bozen: StudienVerlag.

Perz, Bertrand (2005). Österreich. In: Knigge Volkhard, Frei Norbert, Schweitzer Anett (Hrsg.) Verbrechen Erinnern. Eine Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord. München: C.H. Beck.

Rabl, Christian (2018). Projektbericht zur historischen Quellenrecherche Lunz am See in der NS-Zeit. Im Auftrag des Amts der NÖ Landesregierung, Abteilung Kunst und Kultur. Unveröffentlicht.

Saxenhuber, Hedwig (Hrsg.) (2005). Erlauf Erinnert sich … Frankfurt am Main: Revolver.

Schatzl, Heidi (Hrsg.) (2018). Die Manuskripte des Ernst F. Brod. Wien: Mandelbaum.

Wachau Dunkelsteinerwald Regionalentwicklung und Amt der NÖ Landesregierung/ Abteilung Kunst und Kultur (Hrsg.) (2016). Mahnmal Friedenskreuz St. Lorenz Mahnmal Friedenskreuz St. Lorenz. Über die Verwicklung Wachauer Bürger im Partinsanenkrieg im Zweiten Weltkrieg. Innsbruck, Wien, Bozen: StudienVerlag.

 

LINKS

www.publicart.at/de/home (Zugriff am 20. Juli 2018)

www.publicart.at/mahnmal-viehofen/de/mahnmal.html (Zugriff am 20. Juli 2018)

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